Einkehr zum toedlichen Frieden
Deshalb
verwöhne ich mich nach anstrengenden Tagen gern mit besonders ausgefallenen
kulinarischen Kombinationen. Ich muss gar nicht schwanger sein, damit mir bei
dem Gedanken an saure Heringe mit Quitten-Schlagsahne das Wasser im Mund
zusammenläuft.
Mein Fett ist mein Panzer, meine Figur ein Statement, und ich denke
nur ans Abnehmen, wenn ich den Reißverschluss meiner Jeans nicht zuziehen kann.
Ein Garderobenwechsel auf Größe 50 ist einfach zu zeitraubend. Oder war es,
solange ich meinen Job noch hatte.
Etwas wehmütig denke ich an meine früheren Sorgen. Jetzt würde ich
mir einen Garderobenwechsel nicht mehr leisten können. Es müssten schon andere
Zeiten kommen, ehe eine beinahe fünfzigjährige Moderedakteurin eine neue
Anstellung findet. Eine einstige Moderedakteurin, die zudem noch unter
Mordverdacht steht.
Was ich vor zwei Tagen noch nicht wusste, als ich den dicken
Umschlag anstarrte und zum Kühlschrank schritt. Doch der Anblick des Telefons
verdarb mir den Appetit. Ich stellte es in den Flur. Eine beinah feierliche
Handlung, mit der ich mich von meinem Lebensmittelpunkt verabschiedete.
Marcel Langers Räuspern reißt mich aus der Rückschau. Der Polizist
zieht die dunkelblaue Uniformjacke aus, enthüllt dabei ein ziemlich
zerknittertes hellblaues Hemd mit zwei Sternen sowie den Aufschriften Police und Polizei , dankt der
Kellnerin für den nächsten Kaffee und lässt sich wieder mir gegenüber nieder.
»Haben Sie die Täterin?«, frage ich nicht sehr hoffnungsvoll.
»Das wird sich herausstellen«, erwidert er, sieht mich
beziehungsreich an und schweigt.
»Konnte sie Ihnen denn weiterhelfen?«, hake ich nach. Schließlich
bin ich Journalistin.
»Über den Fortgang der Ermittlungen darf ich Ihnen nichts sagen«,
kommt der Satz, der mich schon als junge Zeitungsvolontärin zur Verzweiflung
gebracht hatte.
»Wie soll ich mich denn verteidigen, wenn ich nichts weiß?«, platze
ich ungehalten heraus, greife nach dem Keks, der seinen Kaffee begleitet, und
reiße die Plastikverpackung auf. Ich bin immer noch hungrig, aber es scheint
unangebracht, in dieser Lage ein Rührei mit Thüringer Würstchen, nur leicht
angebratenem Speck, Ahornsirup und einem Hauch von Kapuzinerkresse zu bestellen.
»Bis zur Gerichtsverhandlung ist noch Zeit«, sagt er, als wäre ich
ganz zweifelsfrei die Täterin. Ich mustere ihn fassungslos.
»Haben Sie niemanden, der Ihnen das Hemd bügelt?«, maskiere ich mein
Entsetzen.
»Nein«, antwortet er ungerührt, zupft an seinem verkrumpelten Kragen
und fragt, woran meine Mutter gestorben sei.
Am Heimweh nach der Eifel , hätte ich
beinahe geantwortet, nenne aber dann doch lieber den komplizierten
medizinischen Namen ihrer todbringenden Erkrankung. Ich erwarte eine Nachfrage,
aber er nickt nur.
»Genau wie mein Vater«, sagt er leise und wirkt in seinem
verknitterten Hemd und der schief hängenden dunkelblauen Krawatte auf einmal
menschlich – und genauso verwaist wie ich. Gern hätte ich ihn nach seinem Vater
gefragt, ob dieser auch so gelitten und er als Sohn das voller verzweifelter
Hilflosigkeit miterlebt hat, aber wie das Rührei scheint diese Frage fehl am
Platz, und so berichte ich von meinem Erbe.
»Ich habe dann diesen Umschlag meiner Mutter aufgerissen«, sage ich,
erzähle, wie das dicke Bündel D-Mark-Scheine
herausfiel und ich sofort zu heulen begonnen hatte. Meine Mutter, die gerade
das Nötigste zum Lebensunterhalt und für meine Ausbildung verdient und danach
eine Mindestrente bezogen hatte, die an keinem Bettler hatte vorbeigehen
können, ohne ihm etwas zuzustecken, musste mehr als nur an der Butter gespart
haben, um mir diese Summe zu hinterlassen. Ich zählte das Geld und rechnete
schnell um. Vierzehntausend Euro. Zusammen mit der Abfindung, die vom Verlag zu
erwarten war, konnte ich mich damit eine Zeitlang über Wasser halten. Natürlich
würde ich umziehen müssen. Für eine arbeitslose Journalistin war eine Miete von
knapp tausend Euro unerschwinglich.
»Tausend Euro Miete!«, unterbricht mich Langer erschüttert. »Und so
was ist in Berlin normal?«
»Was ist schon normal?«, fahre ich ihn an. »Eine Leiche zum
Frühstück?«
» Ich könnte noch gar nichts essen«, gibt
er zurück und greift nach dem Kekspapier. Das Knistern zwischen seinen Fingern
unterstreicht den unausgesprochenen Vorwurf.
»Nervennahrung«, murmele ich. »Im Umschlag war übrigens nicht nur
Geld.«
Sondern auch ein Bündel Briefe. Sie waren mit einem
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