Einmal gebissen, total hingerissen
uns.
Bastard. Blöder Bastard.
Ich wünschte, ich könnte einfach in ein Flugzeug springen, zu seinem Haus marschieren und ihn persönlich zur Rede stellen. Ihm sagen, was für ein lausiger Vater er ist und dass er brave Töchter wie Sunny und mich gar nicht verdient.
Oder irgendwas. Einfach irgendetwas. Nur damit ich mich nicht so beschissen hilflos und verdreht und allein fühlen müsste.
Klasse. Jetzt heule ich wieder und ich bin überhaupt kein Heultyp. Die ganze Sache ätzt. Außerdem habe ich gar keine Zeit, um niedergeschlagen zu sein. Ich habe um zwei Uhr eine Jägertrainingsstunde, wenn ihr es fassen könnt.
Teifert hat heute Morgen angerufen (hat eigentlich die
ganze Welt meine Handynummer?) und eine kryptische
Nachricht hinterlassen, dass die Zeit näher kommt. Mir
soll's recht sein, schätze ich.
Ich bin bereit, in einen kleinen Hintern zu treten.
Nimm diesen Pfahl!
Sonntag, 10. Juni, 17.00 Uhr
Zurück vom Jägertraining. Definitiv eine umwerfende
Erfahrung, das kann ich euch sagen.
Zuerst wirkt alles normal. Mr Teifert und ich treffen uns in der Sporthalle der Schule, unten am Kraftraum. Das Gebäude ist menschenleer, was wahrscheinlich eine gute
Sache ist. Eine Schülerin und ein Lehrer allein in einer schummrig beleuchteten Turnhalle - auf den durchschnittlichen Außenseiter würde das wahrscheinlich einen etwas zwielichtigen Eindruck machen. Und es ist ja nicht so, als könnten wir die ganze Jäger-Ausbildersache der allgemeinen Öffentlichkeit erklären. Die Leute würden wahrscheinlich ein viel schmuddligeres Szenario vermuten - eins, das für Teifert in einem Rauswurf und für mich in einem Schulverweis enden würde. Gar nicht gut.
Oh, aber weiter im Text! Mr Teifert zwingt mich, eine
Jogginghose von Juicy Couture und Nikes anzuziehen,
bevor ich mit dem Training anfange. Er murmelt etwas
darüber, dass meine schönen schwarzen Seidensachen und
die Kampfstiefel keine passende Arbeitskleidung seien.
Bi-te. Oh, und als wäre das nicht schlimm genug - diese Jogginghose ist zufällig auch noch pink! Wenn in genau diesem Moment jemand Böses und Grausames mit einem
Fotohandy vorbeikäme, wäre mein ganzes Highschool—
Image irreparabel ruiniert.
Nachdem ich das knallrosa Outfit angezogen habe, fangen wir mit unserem Training an. Er lässt mich zuerst ein paar Gewichte heben (fünf Pfund sind so ziemlich mein Limit) und dann Seilchen springen (drei Sprünge vielleicht, bevor ich mich hoffnungslos verheddere), dann muss ich Runden durch die Turnhalle laufen. (Runde im Singular, nach einer bin ich vollkommen außer Atem. Ich muss echt mit dem Rauchen aufhören.) Meine körperliche Verfassung scheint ihn ein wenig zu beunruhigen, aber er deutet lediglich auf den Punchingball und sagt mir, ich soll loslegen. Ich lächle.
Jetzt kommen wir zur Sache.
»III-JA«, rufe ich, während ich die Faust in den
Punchingball krachen und dem Hieb einen wunderschönen
Roundhouse-Kick folgen lasse. Ich senke den Kopf und
kneife die Augen zusammen und konzentriere mich auf den Punchingball, mache ihn zu meinem Feind. Wenn ich Glück habe, kann ich bei diesem Jägertraining etwas von meinen aufgestauten Aggressionen wieder abbauen.
Dad. Ist. Ein. Loser. Hieb. Kick. Wiederholen.
»Rayne, konzentrier dich. Du hast keine Kontrolle«,
wiederholt Teifert zum zehntausendsten Mal. »Eine Jägerin muss ihre tiefe Stärke finden. Ihre innere Macht. Sie muss eins werden mit dem Universum.«
Ich höre auf zu boxen und wische mir den Schweiß von der Stirn. »Können wir den Zenmüll mal für einen Moment beiseite lassen?«, frage ich. »Ich versuche, diesen
Punchingball zu Brei zu schlagen.«
»Nein, wir können den 'Zenmüll', wie du es ausdrückst,
nicht beiseite lassen«, sagt Teifert müde. »Rayne, man kann nicht allein durch pure Kraft und Wut eine gute Jägerin werden. Du musst die Macht in deiner Mitte finden. In dir selbst.«
»Vielleicht habe ich keine Mitte. Und wenn das so ist, sollte ich vielleicht das benutzen, was ich habe.« Ich hebe die Fäuste.
»Hier liegt meine Macht, Teifert. Vorsicht, Vampire, es ist Raynie-Powerzeit.«
Teifert schüttelt den Kopf. »Wo finden sie bloß diese
Mädchen?«, murmelt er vor sich hin. »Und warum schicken sie sie immer zu mir?«
Oh, das ist nett. »He, Sie haben mich ausgesucht, Mann«, rufe ich ihm ins Gedächtnis und lasse die Fäuste sinken.
»Ich habe um diesen Gig nicht gebeten.« Na klasse, jetzt bin ich auch noch als Jägerin untauglich.
Weitere Kostenlose Bücher