Einmal scheint die Sonne wieder
wahrscheinlich eine Mischung aus meiner Müdigkeit, meiner Arbeit und dem Kalomel war, die mir die Verdauungsstörungen eintrug., Menschen, die sehr nervös sind und so schnell essen, daß sie selten schmecken, was sie zu sich nehmen, leiden unter Verstopfung, aber nur die Stinklangweiligen sprechen darüber; also übersah ich das bei mir.
Als ich meine sechste Erkältung hinter mir hatte, merkte ich, daß ich anscheinend noch viel nervöser war, daß ich schlecht schlief, einen Druck über dem Herzen spürte und gelegentlich stechende Schmerzen in den Lungen hatte. Ich schob das Druckgefühl und die Schmerzen auf meine Verstopfung, meine Verstopfung auf meine Nervosität und meine Nervosität auf meine Arbeit.
Ich weiß, daß sich dies so anhört, als ob ich außer allen Anzeichen für Tuberkulose auch noch alle Anzeichen einer geistigen Infantilität gehabt hätte. Das stimmt aber nicht. Ich handelte lediglich unter dem Eindruck, daß ich gesund sei, und glaubte, daß es jedem, der arbeitet, genau so ginge wie mir. Niemals kam ich auf den Gedanken, daß meine Beschwerden Symptome von Tuberkulose waren. (In Wirklichkeit waren sie es alle.) Nach Gammys Erziehung, den Filmen, die ich gesehen, und den Büchern, die ich gelesen hatte, glaubte ich, die einzig wirklichen Symptome für Tuberkulose seien ein trockener, kurzer Husten und ein blütenweißes Taschentuch, das von zarter Hand an bleiche Lippen gehalten und blutbefleckt zurückgenommen wird.
Ich war beinahe dreißig Jahre alt, war verheiratet gewesen und geschieden, hatte zwei Kinder, hatte Hühner gezogen und schien eine normale Intelligenz zu besitzen, aber was ich von Tuberkulose, ihren Symptomen, ihrer Ursache und Behandlung wußte, hätte sich in einem Wort zusammenfassen lassen. Das lag einfach daran, daß niemand in unserer Familie je Tuberkulose gehabt hatte. Auch keiner meiner Freunde hatte jemals Tuberkulose gehabt, und sie gehört ja nicht gerade zu den Dingen, über die man sich aus reiner Freude an der Sache aus Fachbüchern belehrt.
Das Absurde ist, daß ich zwar nichts über Tuberkulose wußte und nie auf den Gedanken kam, ich könnte diese Krankheit haben, mich aber seit zwei Jahren sehr um einen meiner Kollegen in der Regierungsbehörde gesorgt hatte, der wie eine Leiche aussah und ständig hustete, so recht kurz und trocken und meistens mir ins Gesicht. „Ich glaube, der Mann hat Tuberkulose,“ sagte ich schließlich aufgeregt zu meinem Chef. „Wer nicht?“ war seine lakonische Antwort.
Als ich ins Sanatorium kam und eine Entschädigungsklage gegen die Regierung einreichte, in der ich den leichenblassen Kollegen als möglichen Ansteckungsträger angab, wurde er im Tuberkulose-Krankenhaus untersucht, wo sich herausstellte, daß er seit neunzehn Jahren aktive, ansteckende Tb hatte. Er wußte, daß er sie hatte, und war anscheinend zufrieden dabei, denn es geschah sehr gegen seinen Willen, daß er schließlich in ein Sanatorium geschickt wurde.
Vier oder fünf von uns, die mit ihm gearbeitet hatten, kamen mit Tb in Sanatorien, aber die Regierung ging auf keine Entschädigungsforderung ein. Der Unbekannte, der in Washington die Entschädigungsforderungen zu bearbeiten hatte, verhielt sich genau so wie mein Chef. „Alle diese Mädchen haben Tuberkulose,“ hieß es in unseren Klagen. „Wer nicht?“ kam die Antwort aus Washington zurück.
Im März hatte ich noch immer die Januar-Erkältung und konsultierte daher heimlich einen Augen-, Ohren-, Nasen- und Halsspezialisten. Da ich wenig mit Ärzten zu tun gehabt hatte und seit meiner Kindheit überzeugt gewesen war, daß ich gesund sei, war es mir peinlich, ihm all die kleinen Dinge aufzuzählen, die bei mir nicht in Ordnung zu sein schienen. Ich beschränkte mich also mit meinen Symptomen auf sein Gebiet und erzählte ihm von meiner Erkältung und den Schmerzen in der Brust. Er untersuchte meine Augen, Nase und Hals und sagte, daß nichts bei mir zu finden sei. Er klopfte mir auf die Schulter und riet mir, es mit ultraroten Bestrahlungen im Rücken zu versuchen. Einige Zeit später ging die Erkältung fort.
Im Mai litt ich so häufig und schwer an Verstopfungen, daß ich zu einem Internisten ging. Ich nannte ihm die Symptome, die in sein Gebiet fielen, erzählte ihm von der Verstopfung und dem Flimmern vor den Augen. Er untersuchte Magen und Darm und meinte, daß bei mir nichts zu finden sei. Er klopfte mir auf die Schulter und riet mir, weniger Kaffee zu trinken.
Im Juli hustete ich
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