Einsamen
Auszüge gelesen«, erklärte er. »Aber er ist klug, dieser Däne. Verdammt scharfsinnig.«
»Ich habe gerade erst angefangen«, räumte Rickard ein. »Und was liest du im Moment?«
Tomas Winckler ging nicht darauf ein. Er lehnte sich zurück und zündete sich stattdessen seine ausgedrückte Zigarette wieder an. »Wenn du dich selbst mit einem einzigen Satz beschreiben solltest«, sagte er, »wie würdest du das tun?«
»Ein einziger Satz?«
»Ja.«
Rickard Berglund dachte eine Sekunde lang nach. »Ich bin ein junger Mann, der keine Dienstage mag«, erklärte er dann.
Tomas Winckler betrachtete ihn verblüfft. Dann brachen sie beide in schallendes Gelächter aus.
2
V erdammter Köter, dachte Elis Bengtsson.
Dann formte er seine Hände vor dem Mund zu einem Trichter und rief, so laut er konnte.
»Luther!«
Er wiederholte die Prozedur. In alle vier Himmelsrichtungen.
Anschließend ließ er sich auf einem Baumstamm nieder und wartete. Es hat ja doch keinen Sinn, herumzulaufen und nach dem Köter zu suchen, dachte er. Lieber einfach sitzen bleiben und den Hund suchen lassen.
Das hatten ihn die Jahre gelehrt. Hunde haben eine bessere Witterung als Menschen, und wenn sie wollen, finden sie immer den Weg nach Hause.
Luther war sein exakt neunter Hund, und sie alle hatten ihren Namen nach bemerkenswerten Persönlichkeiten bekommen: Galileo, Napoleon, Madame Curie, Stalin, Voltaire, Doktor Crippen, Nebukadnezar und Caruso.
Und Luther, wie gesagt. Vier Jahre alt, Hälfte Vorsteher, Hälfte Bracke und normalerweise ein sehr intelligentes Tier. Aber jetzt hatte er offensichtlich eine Spur gewittert, obwohl Elis Bengtsson ihn nie für die Jagd eingesetzt hatte. Manchmal nützen auch bestes Training und gute Erziehung nicht, so war es nun einmal.
Der Hund war bei Alkärret verschwunden, und jetzt, eine halbe Stunde später, war er selbst bei der Gåsaklyftan, wo sie normalerweise eine Pause einlegten und es ein Leckerli gab, aber der Hund war immer noch verschwunden.
Elis Bengtsson schaute auf die Uhr. Fünf vor zwei. Er hatte versprochen, um halb drei zu Hause zu sein, um Märta zum Arzt zu fahren.
Blöde Kuh, dachte er. Warum kann sie nicht einfach selbst das Auto nehmen?
Aber genau genommen war es doch das Beste, wenn sie sich nicht hinters Steuer setzte. Sie hatte ihren Führerschein seit 1955, aber seit 1969 kein Fahrzeug mehr gelenkt, nachdem sie beim Rückwärtsfahren auf dem Norra torg in Kymlinge in einen Papierkorb gefahren war. Elis selbst hatte sich bis zur letzten Sekunde zwischen Papierkorb und der hinteren Stoßstange befunden, das war eine ganz dumme Sache gewesen.
Was ihn selbst betraf, so hatte er siebenundfünfzig makellose Jahre im Tornister, und wenn die Gesundheit es zuließ, dann plante er, bis zu seiner Beerdigung Auto zu fahren.
Es gab auch keinen Grund zur Vermutung, dass etwas mit seiner Gesundheit nicht stimmte, es war Märta, die schwächelte, nicht er. Spröde Knochen, Gefäßverengungen, Schwindelattacken und weiß Gott, was sonst noch. Worum es beim heutigen Arzttermin ging, hatte er vergessen. Wenn er es jemals gewusst hatte.
Er seufzte, erhob sich mühsam von dem Baumstamm und dachte nach. Ging dann ein Stück den Hang hinauf, bevor er noch einmal rief.
»Luther!«
Wieder in alle vier Himmelsrichtungen, so war es jedenfalls geplant gewesen, aber er war erst bei der zweiten, als er plötzlich vom unteren Ende der Gåsaklyftan ein Bellen hörte.
Er rief noch einmal in dieselbe Richtung, und wieder erhielt er eine Antwort.
Gåsaklyftan, dachte er. Verdammt noch mal!
Wenn er später darüber sprach – mit Märta oder mit dem einbeinigen, aber neugierigen Olle Mårdbäck aus dem Nachbarhaus und mit der Polizei –, dann wies er gern darauf hin, dass er so eine Vorahnung gehabt habe.
Dass er, bereits als er Luthers Bellen zum ersten Mal hörte, begriff, was da am Fuße des Steilhangs auf ihn wartete.
Die Gåsaklyftan. Er war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich so hieß, aber letztes Mal hatten sie sie so genannt. Gåsaklyftan, die Gänseschlucht!
Letztes Mal. Wie viele Jahre war das jetzt her? 1975.
Mit anderen Worten: fünfunddreißig Jahre. Ein Menschenalter, wie man so sagte.
Aber wahrscheinlich hatte er keine Vorahnung gehabt. Wenn er ehrlich war. Erst als er da oben am Rand des Steilhangs stand und auf Luther und den Körper, der dort unten lag, hinunterstarrte – beide befanden sich gut und gern fünfundzwanzig Meter unterhalb von ihm –, erst da tauchte die
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