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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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hatten sich vier Stunden lang geliebt.
    Was passiert mit mir?, hatte sie sich gefragt.
    Was zum Teufel passiert hier?
    Auch das wie in einer Frauenzeitschrift. Ich denke wie eine dumme Gans, hatte sie festgestellt. Eine verliebte Idiotin. In den ersten Tagen nach ihrer Heimkehr hatte sie gehofft, dass sie nur einem charmanten Stinkstiefel erlegen war. Dass er nicht anrufen würde, dass sie alles, was passiert war, tief in ihrem Herzen begraben und wieder zu Lennart zurückgehen könnte. Zur Sicherheit und zu Lennart. Pizza und Bier am Freitagabend bei Storken mit der Clique. Eigenes Reihenhaus und Kinder im Sommarvägen in drei Jahren.
    Aber das funktionierte nur ein paar Tage. Am dritten Abend rief er sie an, genau wie er versprochen hatte. Sie lag im Bett in ihrem armseligen Zimmer und redete mit ihm die halbe Nacht. Ein romantischer, flüsternder Regen begleitete sie die ganze Zeit an Fenster und Fensterbrett, und als sie im Morgengrauen den Hörer auflegte, war die Entscheidung gefallen. Adieu Lennart Martinsson, dachte sie. Vielen Dank für vier Jahre.
    Dennoch hatte sie es bis heute hinausgezögert. Wie feige konnte man eigentlich sein? Wie gemein? Wie weh darf man einem anderen Menschen tun?
    Nach zwanzig Minuten verließ sie den Rastplatz. Trotz allem waren ihre Tränen begrenzt, aber nachdem sie aufgehört hatte zu weinen, fühlte sie sich nicht besser. Keinen Deut.
    Denn es ging nicht nur um Lennart. Es ging um das Leben, und es ging um alle möglichen anderen Menschen. Ihre Eltern: den Unteroffizier und die Sekretärin. Ihre Schwester. Lennarts Familie: den Major und die Handarbeitslehrerin. Lennart und sie waren nun einmal verlobt gewesen, und man hatte erwartet, dass sie bald heiraten würden. Sich Haus und Kinder anschafften, wie gesagt, und weiß Gott was noch. Erwachsen würden. Martin, Kristina, Sigge und Naomi, jede Menschenseele, die sie kannte, hatte mit so einer Entwicklung gerechnet. Lennart Martinsson und Gunilla Rysth wurden angesehen als … wie nannte man das? Bollwerk?
    Was würden sie sagen? Warum hatte sie nicht vorher etwas verlauten lassen? Warum bis zur letzten Sekunde gewartet, kurz bevor sie nach Uppsala fuhr, um Birgitta zu besuchen? Einfach so zu verschwinden, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, einiges zu klären und zu erklären.
    Gab es einen anderen?
    Nein, hatte sie abgewehrt. Natürlich gab es keinen anderen. Was glaubte er denn? Es war nur so, dass es nicht mehr funktionierte, es war kein anderer Mann im Spiel. Sie musste einfach ihrem Herzen folgen.
    Nur Birgitta wusste davon. Sie wusste von der Chorreise und kannte Tomas. Hatte erklärt, dass der Dreck sicher auch auf sie spritzen würde, sobald er einmal in den Ventilator geraten war, aber das war ihr egal. Sie studierte bereits seit einem Jahr in Uppsala und hatte mehr Überblick. Und wenn die Leute von daheim sie anriefen, würde sie sagen, dass Gunilla natürlich bei ihr wohne, in ihrer Studentenbude auf dem Rackarberget, auf einer Matratze auf dem Boden übernachtete. Und ja, sie habe gerade erfahren, dass es mit Lennart vorbei sei. Eine traurige Geschichte. Aber so ist das Leben nun einmal, man kann seine Gefühle nicht steuern, die Zeit heilt alle Wunden … blablabla.
    Gunilla merkte, dass die Gedanken an Birgitta ein wenig halfen. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, registrierte sie etwas verwundert, dass es für sie umso leichter wurde, je weiter sie sich von Karlstad entfernte und je näher sie Uppsala kam. Zwischen Örebro und Arboga schaltete sie sogar das Autoradio ein, schämte sich dann aber plötzlich über ihre Unverfrorenheit und fing wieder an zu weinen.
    Swimming, perhaps drowning, in a sea of emotions, das war ein Ausdruck, auf den sie irgendwo gestoßen war, und es war keine schlechte Beschreibung dafür, wie es um sie stand. Aber sie dachte gar nicht daran zu ertrinken. Scheiß drauf, sagte sie sich und putzte sich wütend mit einem der letzten Papiertaschentücher aus der Packung die Nase. Schließlich wollte sie anfangen zu leben, nicht aufhören damit.
    Auf jeden Fall war eine Sache bombensicher. Es würde eine ganze Weile dauern, bis sie wieder in die andere Richtung führe. Monate, gern auch Jahre. Der Unteroffizier, die Sekretärin und die Schwester konnten sagen, was sie wollten.
    Wenigstens habe ich meinen Sigurd, dachte sie, als sie in Hummelsta anhielt, um zu tanken. Denn so hieß er, der Käfer, den sie im letzten Sommer Lennarts Cousine abgekauft hatte. Rot und etwas verrostet

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