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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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und mit mehr als hunderttausend Kilometern auf dem Buckel. Aber zuverlässig wie ein Uhrwerk, toi toi toi.
    Tatsächlich lag eine Matratze in Birgitta Enanders Studentenbude und wartete auf sie, aber nur für ein paar Tage. Ab dem 1. Juli, einem Dienstag, wartete etwas ganz anderes auf sie. Sie wagte kaum daran zu denken, aber es war nicht einfach, es nicht zu tun: eine Zweizimmerwohnung in der Sibyllegatan in Luthagen. Sie hatte sowohl Stadtteil als auch Straße auf einem Stadtplan zu Hause in der Bibliothek von Karlstad gefunden, aber kein besonders deutliches Bild von der Umgebung erhalten. Natürlich nicht.
    Die Wohnung gehörte einer Tante von Tomas, war aber so eine Art Familienbesitz. Als klar war, dass Tomas seinen Militärdienst in Uppsala absolvieren würde, war es eine Selbstverständlichkeit, dass er sie mieten konnte. Denn anschließend würde er doch in der Stadt bleiben, um zu studieren? Natürlich, und die Familie ging nun einmal vor. Was die Tante selbst betraf, so wohnte sie das ganze Jahr über in Spanien, die Sibyllegatan war nur eine Art Versicherung, falls auch ihre dritte Ehe platzen sollte.
    Jedenfalls laut Tomas. Gunilla hatte die Wohnung auf Fotos gesehen, er hatte ihr ein halbes Dutzend Fotos geschickt, und jedes Mal, wenn sie die Bilder ansah oder nur an sie dachte, kribbelte es am ganzen Körper. Einmal wurde sie davon so erregt, dass sie sich unter die Dusche stellen und selbst befriedigen musste. Sie würde mit Tomas dort wohnen! Insgesamt hatten sie sich bisher dreimal getroffen (abgesehen von den Tagen in Östersund, einmal in einem gemieteten Zimmer in Sundsvall und einmal – nachdem sie jeder die halbe Strecke gefahren waren – in einem Motel außerhalb von Västerås), und jetzt sollten sie zusammenziehen! Mit Lennart hatte sie während der vier Jahre nie zusammengewohnt.
    Wenn ich das Mama erzählt hätte, wäre sie in Ohnmacht gefallen, dachte Gunilla. Was ihr Vater, der Unteroffizier, gesagt und gemacht hätte, das wollte sie sich lieber gar nicht erst vorstellen, und sie wusste, genau das war ihre beste Verteidigung. Wem auch immer sie die Wahrheit erzählt oder wen sie um Rat gebeten hätte, alle hätten ihr erklärt, dass sie nicht ganz gescheit sei. Ihre Schwester. Ihre Freunde. Alle.
    Also war gar nicht daran zu denken gewesen. Schweigen ist Gold. Schluss machen war eine Sache. Schluss machen und mit einem anderen Mann zusammenziehen war etwas Undenkbares. Sie hätten sie alle verurteilt.
    Sie würden sie verurteilen.
    Alle bis auf Birgitta. Ich will nicht behaupten, dass du richtig gehandelt hast, hatte diese gesagt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es genauso gemacht hätte. Falls dich das tröstet.
    Und dann hatte sie auf ihre charakteristische Art laut gelacht.
    Schön, dachte Gunilla Rysth. Es ist verdammt schön, dass Birgitta auch in Uppsala wohnt.
    Der Schlüssel klemmte in einer Plastiktüte unter dem Fahrradsattel, genau wie sie es abgemacht hatten. Birgitta arbeitete den ganzen Sommer über in einem Restaurant außerhalb der Stadt und würde nicht vor neun Uhr zu Hause sein.
    Jetzt war es halb drei. Gunilla trug ihre schweren Taschen eine nach der anderen die Treppen hinauf und schloss die Wohnungstür auf. Fünf Zimmer und gemeinsame Küche, hatte Birgitta erklärt, aber den Sommer über waren es nur Jukka und sie, die hier wohnten.
    Vielleicht war Jukka ja auch irgendwo arbeiten. Auf jeden Fall war er nicht zu Hause, und Gunilla konnte sich in aller Ruhe umsehen. Sowohl in Birgittas Zimmer als auch in den gemeinsamen Räumen. Küche, Toilette, Badezimmer. Es sah ziemlich unordentlich aus, obwohl doch Dreifünftel der Mieter nicht vor Ort waren, und sie dachte, dass sie eine Studentin mit ungewöhnlich viel Glück sein musste, dass sie bereits in ihre eigene Wohnung ziehen durfte, zusammen mit ihrem Traumprinzen, noch bevor sie überhaupt angefangen hatte zu studieren. Sie erinnerte sich daran, dass Birgitta die ersten Monate zur Untermiete gewohnt hatte und überglücklich gewesen war, als sie ein Zimmer auf dem Rackarberget gefunden
hatte.
    Traumprinz? Woher kommt dieses Wort eigentlich? Es hatte einen ironischen Unterton, der ihr nicht gefiel. Mit einem Traumprinzen war auf jeden Fall irgendetwas verkehrt, und mit Tomas Winckler war nichts verkehrt.
    Jemand anderem hätte sie nur schwer erklären können, warum sie sich dieser Sache so hundertprozentig sicher war, aber sie hatte auch gar nicht die Absicht, es zu versuchen. Schweigen ist Gold, wie

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