Einschlafbuch Fuer Hochbegabte
Unruhe: Sollten sie nun schlafen? Oder die unvergleichliche Ruhe für tiefsinnige Niederschriften nutzen?
Der gerechtigkeitsliebende Autor Albert Camus teilte die Stille zu gleichen Hälften in Schlaf und Dichtkunst. Sobald der Lärm draußen sich legte, in seinem Stadtviertel nach zehn Uhr abends, begab er sich für vier Stunden ins Bett. Danach stand er auf und begann zu arbeiten, während die Nacht sich lichtete. Mit dem Klirren der ersten Milchflasche, die der Molkereibote vor dem Nachbarhaus abstellte, war die Arbeitszeit beendet. »Dieses morgendliche Klingen war der Glockenruf zum Schlaf.« Der Poet sank abermals ins Bett.
Nicht alle Hochbegabten können derartig unbekümmert über Tag und Nacht verfügen. Das Korsett offizieller Arbeitsabläufe zwingt oft die Sensibelsten in den gesetzlich vereinbarten Rhythmus. Das hat auch sein Gutes. Der Vormittag, den Camus zu verschlafen gedachte, schickte Wellen der Geschäftigkeit in sein Domizil. Nicht jeder Briefträger und Handwerker wusste, dass der Meister am Vormittag nicht gestört zu werden wünschte. »Über die Jahre habe ich ein Schlafdefizit angesammelt«, klagte Camus an seinem vierzigsten Geburtstag, »das ich zu Lebzeiten nicht mehr ausgleichen kann.« Der Satz erinnert an die Vorfreude des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder: »Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.«
Weder der eine noch der andere erreichte die Fünfzig. Vermutlich kehren sie irgendwann gut erholt aus dem Nirwana zurück. Uns hingegen geht es darum, zu Lebzeiten ausgeschlafen zu sein, trotz feindseliger Geräusche. Der Dichter Peter Rühmkorf fühlte sich vom vierundzwanzigstündigen Lärm des Containerhafens am Kreativschlaf gehindert. Er wohnte am Elbstrand den Verladekais direkt gegenüber. Sein Kollege Hans Erich Nossack, im Stadtinnern zu Hause, geriet in Depressionen, weil die Generalswitwe über ihm nachts daran ging, die Möbel umzustellen; sie benötigte täglich ein neues Arrangement. Watte, Wachs und Schwämmchen in den Ohren konnten beide Dichter nicht leiden.
Vom altrömischen Priesterpoeten Heliogabal ist der früheste Entwurf überliefert, eine vollkommen gedämmte Schlafkammer zu schaffen. Den letzten Versuch, der in die Annalen einging, unternahm die Schauspielerin Greta Garbo. Beide mussten entdecken, dass in nahezu schalltoten Räumen der eigene Herzschlag, das Glucksen im verschlungenen Inneren und das Rauschen im Ohr eine staunenswerte Lautstärke annehmen. Diese Phonzahlen nun wieder mit maskierenden Schallwellen zu übertönen – im Falle Heliogabals mit einem künstlichen Miniaturwasserfall, bei Garbo Aufnahmen schwedischer Kinderchöre – erfordert neue Anstrengungen und ständiges Nachjustieren.
Die hart geprüften Feinfühler! Alberto Giacometti, ein Schweizer Bildhauer und Maler, musste das Werkzeug aus der Hand legen, wenn er die Axtschläge von Holzfällern und das Krachen der Bäume vernahm. Weder an Arbeit noch an Schlaf war zu denken. Ohne tosenden Gebirgsbach vor dem Fenster hingegen wurde ihm unbehaglich. Auf Reisen fehlte ihm nachts der vertraute Lärm. Etlichen Alpenreisenden wiederum – der berühmteste hieß Goethe – wurde und wird das ständige Brausen und Rauschen zur Qual; sie liegen nachts wach. Giacometti hätte umgekehrt im damals totenstillen Weimar keinen Schlaf gefunden.
Es gibt originelle akustische Vorlieben. Der Filmkomiker Jacques Tati fühlte sich im Sommerurlaub in Saint-Nazaire von Tischtennisspielern belästigt, die seine kostbare Mittagsruhe störten. Für die Schaffenskraft sei der Schlaf nach dem Dessert unerlässlich, klagte er. Zweierlei geschah. Erstens beschwerte Tati sich, ohne anhaltenden Erfolg. Zweitens verwendete er, sozusagen aus Rache, das stupide Pingpong als Running Gag in seinem nächsten Film, Die Ferien des Monsieur Hulot , mit umso größerem Erfolg. »Empfindsame Geister«, ließ der Regisseur wissen, »nehmen Störungen als Anregung«.
Tischtennis bleibt ein Dauerbrenner in den Top Forty der störendsten Geräusche, die alljährlich von den Redakteuren des Guinness-Buches zusammengetragen werden. Doch nicht jeder empfindet das so. Der amerikanische Autor John Updike schildert, wie er nach tagelanger Schlaflosigkeit, an der auch Tabletten nichts zu ändern vermochten, ausgerechnet unter einem Pingpong-Tisch einschlief. Keineswegs in stiller Nacht auf einer Matratze. Sondern mitten am Tag, auf nacktem Zementfußboden, während über ihm am Tisch mit großem Hallo ein Turnier stattfand. Wer müde
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