Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
hätte; dazu das Hineinspielen einer Unzahl anderer wichtiger Persönlichkeiten, die sich in Weimar um den Erlauchten scharten, denn Goethe stand im Brennpunkt aller geistigen Begebenheiten. Sein ganzes Dasein war also auf die Rolle eines Spiegels eingestellt, auf die Wiedergabe aller Reflexe aus Goethes unerschöpflich reichem Leben. Alle Erinnerungen des Großen sprudelten vor ihm auf, um so ergiebiger, als die Gesprächigkeit des alten Herrn de omnibus rebus et de quibusdam aliis gar kein Ende fand.
Eckermann hatte gar nicht nötig, zu fragen, herauszuholen, Themen anzuschlagen, da die Schleusen der Mitteilung bei seinem Gegenüber ohnehin stets offen standen; er brauchte nur beständig zu hören und das Gehörte in Niederschrift zu verwandeln, um seiner dankbaren und dankenswerten Aufgabe zu genügen.
Im Gegensatz hierzu fand ich ganz andere, höchst einschränkende Bedingungen vor; nämlich die bloße Gesprächsmöglichkeit in einem vergleichsweise sehr kurzem Zeitraum und im Hinblick auf eine Reihe zwar sehr bedeutender, aber der Zahl nach engbegrenzter Themen. Hieraus konnte sich keine redselige Weitschweifigkeit entwickeln, nichts, was an Tischgespräch und gemütliche Plauderei erinnert. Denn zwischen uns handelte es sich doch um »Fragen«, und zwar wesentlich um solche, um derentwillen man einen Einstein bemühen durfte. Nicht etwa so zu verstehen, als hätte ich mich nun im Stile eines Interviewers auf den anderen losgelassen. Es bestand vielmehr von Anfang an das Einverständnis darüber, daß die Gesprächsgegenstände bei aller Freiheit der Wahl einer besonderen Entwickelung ausgesetzt werden sollten, wo angängig, sub specie aeterni. Bei aller Absichtslosigkeit in der Form, blieb doch in der Sache die Absicht, die Unterhaltungen an die vorletzten und letzten Dinge heranzuführen.
Friedrich Nietzsche hat die Eckermann-Gespräche als das beste Buch in deutscher Sprache bezeichnet. Ein Ausspruch, der in seiner Verstiegenheit neben anderen Paradoxen Nietzsches bestehen mag. Es gibt ebensowenig ein bestes Buch in deutscher Sprache, wie einen besten Baum im deutschen Eichwald. Zieht man die Nietzschesche Übertreibung ab, so bleibt bestehen, daß das Eckermann-Buch als ein hochgetürmtes Bildwerk vor uns aufragt; ein Kulturdokument trotz mancher an den Alltag erinnerndenEntbehrlichkeiten, die den Großen umflattern. Denn auch die Kleinlichkeiten gewisser sententiös gefärbter Aussprüche gehören zu Goethes Gesamtbild und ebenso der salbungsvolle Anspruch, mit dem sie als Alters-Orakel auftreten.
Von all solchen historischen Wertungen kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Ich war weder darauf angewiesen, der Vollständigkeit zuliebe jede Nebensächlichkeit aufzulesen, noch in der Wiedergabe des Wesentlichen vorwiegend den autoritären Tonfall anzustreben. Wie selten liegt der in Einsteins Rede, wie oft habe ich bemerkt, daß er sie selbst da, wo ihm kein Mensch die Autorität bestreitet, mit bescheidenen Vorbehalten durchsetzt!
Hiermit hängt aber auch zusammen, daß ich mit Eckermann zwar die Wißbegier teile, jedoch mich sonst in keinem Zuge seinem Wesen verwandt fühle. Schwerlich wäre es Einstein eingefallen, sich mir zugänglich zu erweisen, wenn er in mir nichts anderes vermutet hätte, als einen Schallträger und ein lebendes Echo.
So sehr es mir widerstrebt, in diesem Zusammenhange von mir selbst zu reden, als so dringend empfinde ich die Pflicht, wenigstens andeutungsweise den mir gegönnten Vorzug zu erklären. Manchem Leser, der von meinen früheren Schriften Notiz genommen hat, wird es bekannt sein, daß meine Arbeiten sich vielfach auf Grenzgebieten tummelten, auf Feldern, die gleichzeitig vielen Disziplinen angehören, und keiner, – wo Leben und Kunst mit Naturkunde und Metaphysik in einem Nebel zusammenfließen. Solche Betrachtungen verlaufen zumeist ohne bestimmtes Resultat, hier aber hatten sie doch das für mich sehr wertvolle Ergebnis, daß ich von Einstein als Gesprächsteilnehmer im Sinne eines Debatters angenommen wurde. So durfte ich über die enge Umfriedung des bloßen Fragerechtes hinausgehen, Meinung äußern, ja, sogar Widerspruch wagen. Wußte er doch, daß das Pathos der Distanz unter allen Umständen gewahrt wurde. Man widerspricht dem Überlegenen nicht aus rechthaberischer Anwandlung, sondern um durch tätiges Mit- und Selbstdenken dem Gespräch Wendungen zu geben, um zur Erörterung zu gestalten, was sonst unter dem Anschein des Dialogs belehrender Monolog
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