Einstein, Quantenspuk und die Weltformel (German Edition)
zurücklegen muss, bis es den Passanten erreicht. Die Relativitätstheorie führt aber die Relativität der Gleichzeitigkeit über die reine Laufzeit des Lichts hinaus. Wann immer zwei Ereignisse in einem Bezugssystem gleichzeitig stattfinden, aber nicht am selben Ort, gibt es ein anderes Bezugssystem, in dem diese Ereignisse nicht gleichzeitig stattfinden.
In einem Zug ist vorne und hinten jeweils eine Lichtkanone montiert. Exakt in der Mitte steht ein Vampir, der damit hingerichtet werden soll, begleitet vom Schaffner nebendran, der die Hinrichtung protokolliert. Der Zug fährt sehr schnell durch einen Bahnhof. Auf dem Bahnsteig steht der zuständige Richter, der das Geschehen aus einiger Distanz beobachten und bezeugen will.
Die Lichtkanonen feuern und der Vampir stirbt. Der Schaffner vermerkt im Protokoll, beide Lichtkanonen hätten gleichzeitig gefeuert und den Vampir damit gleichzeitig getroffen und eliminiert. Als der Richter das Protokoll mit seinem Bericht vergleicht, ist er nicht einverstanden. Zwar haben beide Schüsse das Ziel gleichzeitig erreicht, da stimmt er zu, aber die hintere Lichtkanone hat einige Augenblicke früher geschossen.
Analysieren wir die Szene mit der speziellen Relativitätstheorie, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Die beiden Lichtkanonen im Zug befinden sich im selben Bezugssystem wie der Schaffner und der Vampir. Der Lichtstrahl der hinteren und vorderen Kanone trifft genau gleichzeitig beim Vampir ein, da sich dieser in der Mitte befindet und die Lichtgeschwindigkeit konstant ist. Beide Lichtkanonen haben aus dem Standpunkt des Schaffners betrachtet gleichermassen zur Eliminierung des Vampirs beigetragen. Der Richter auf dem Bahnsteig ist da allerdings ganz anderer Meinung. Aus seiner Perspektive betrachtet hat die hintere Kanone ihren Lichtstrahl früher abgeschossen als die vordere Kanone. Diese Wahrnehmung ist dem Umstand geschuldet, dass die Lichtgeschwindigkeit auch in seinem Bezugssystem konstant ist. Daher erreicht ihn das Licht der näheren Kanone (im Beispiel die hintere Kanone) früher als das Licht der vorderen Kanone, da sich der Zug aus Sicht des Schaulustigen vom Bahnhof weg bewegt. Er wird aber zustimmen, dass die beiden Lichtstrahlen den Vampir gleichzeitig getroffen haben, sich mit dem Schaffner aber nicht einig werden, dass die beiden Lichtstrahle auch gleichzeitig abgefeuert wurden. Das kommt daher, dass aus Sicht des Schaulustigen sich der Vampir aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Zugs vom Lichtstrahl aus der hinteren Kanone fortbewegt hat und das Licht der hinteren Kanone somit einen längeren Weg zurücklegen muss als das der vorderen Kanone. Aus Sicht des Vampirs, der sich im Zug befindet, ist der Weg zwischen den beiden Kanonen aber unverändert geblieben. Anstelle sich auf die Wahrnehmung des Schaulustigen zu verlassen, könnten an den Geleisen auch Sensoren aufgestellt werden, die die Lichtstrahlen der Kanonen messen. Nach klassischer Auffassung könnte der Schaulustige jetzt einfach die Laufzeiten des Lichts berücksichtigen (die Zeit, die das Licht braucht, um von der Kanone in seine Augen zu gelangen und ihm damit zu erkennen geben, dass der Lichtstrahl abgefeuert wurde) und würde sich mit dem Vampir über den Zeitpunkt des Abschuss einig werden. Mit der Relativitätstheorie – und damit so, wie es in der Realität zu messen ist – wird der Richter aber auch unter Berücksichtigung der Lichtlaufzeit feststellen, dass der Abschuss der Lichtstrahlen nicht gleichzeitig erfolgt ist. Damit wird er sich mit dem Schaffner nie einig werden, der darauf beharrt, dass beide Lichtstrahle gleichzeitig abgeschossen worden sind. Beide sind mit ihrer Beobachtung aber im Recht, wodurch wir zu Schlussfolgerung gelangen, dass die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen durch verschiedene Beobachter verschieden beurteilt werden kann. Einig werden sich die Beobachter nur darüber sein, dass das Ereignis stattgefunden hat. In jedem Bezugssystem werden beide Kanonen abgefeuert und die Lichtstrahlen gleichzeitig den Vampir treffen. Es lässt sich aber nicht entscheiden, ob die Kanonen gleichzeitig schiessen oder nicht. Denn das hängt vom Betrachter ab. Geschwindigkeit und Ort, aber auch die Zeit sind auch hier sehr relativ.
Für unser alltägliches Verständnis der Gleichzeitigkeit können wir dieses Phänomen in der Regel vernachlässigen. Prinzipiell wäre die Relativität der Gleichzeitigkeit aber auch bei gewöhnlichen Zügen messbar. Allerdings sind
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