Vor Katzen wird gewarnt
ERSTES KAPITEL
D as schwarz-weiße Kätzchen
sauste lautlos über den schwarzen Teppich, blieb einen Augenblick stehen, um
sein eigenes Bild in dem Wandspiegel anzufauchen, und krallte dann alle vier
Pfoten heftig in die langen Noppen einer schwarz-weißen Wollbrücke. » Mousiekins !« brüllte eine Bullenstimme entzückt. »Du
entwickelst ja Neigungen zu Muttermord. Sehen Sie das, Rick? Sie bildet sich
ein, sie brächte ihre Mutter um.«
Leonard Reid kam mit vergnügtem
Lächeln auf mich zu. Er trug ein schwarzes Trikothemd, schwarze Hose, Schuhe
mit geflochtenen Hanfsohlen und ein klotziges Platinarmband ums rechte
Handgelenk. Das Kätzchen wurde der Ermordung seiner Mutter überdrüssig,
kletterte schnell anderthalb Meter an einem purpurroten Seidenvorhang hoch,
sprang elegant auf den Louis-Quinze-Schreibtisch und begann, unbeeindruckt von
der peruanischen Totenmaske, die darunterhing , die
Geheimnisse antiken Kunsthandwerks zu erforschen.
»Wie wär’s mit einem Gläschen?«
fragte Reid.
»Bourbon auf Eis«, sagte ich.
Er drückte auf den verborgenen
Knopf in der kompliziert geschnitzten Wandtäfelung, und das eingebaute
Barschränkchen schwang langsam nach außen. Leonard Reid wog an die zwei
Zentner, war nicht viel unter ein Meter neunzig groß, und nur ein paar Pfund um
den Solarplexus herum bestanden aus Fett, der Rest war kompakte Muskulatur.
Wann immer man in einem dieser historischen Monsterfilme sah, wie er mit einem
Stier rang, so wußte man, daß sowohl der Mann als auch das Vieh echt waren, und
nach zehn Sekunden begann einem der Stier leid zu tun. Eine zentimeterkurze
Kappe grauschwarzen lockigen Haars saß ihm auf dem Kopf und betonte die breite,
gewölbte Stirn und die schweren Backenknochen, die ihm das Aussehen eines
grausamen Mongolen verliehen. Seine schiefergrauen Augen blickten unter
schweren Lidern mit einer heiteren Unverschämtheit in die Welt, die ein paar
Leute faszinierend fanden und die den Rest der Menschheit schlicht auf die
Palme brachten. Nirgendwo leben so empfindsamste Egozentriker wie in Hollywood,
und Reid pflegte pro Tag durchschnittlich mindestens ein halbes Dutzend dieser
Gattung mühelos zutiefst zu verletzen.
Er reichte mir mein Glas, ließ
sich auf etwas nieder, was wie eine mit echtem Leopardenfell bezogene Couch
aussah, und widmete sich ungefähr zehn Sekunden lang seinem Martini.
»Der Nothelfer in allen
Lebenslagen Holman«, sagte er dann plötzlich, »frisch aus dem Wilden Westen,
eine Pistole an jeder Hüfte, ein kühles Lächeln auf den Lippen, während er mit
gelassenem Blick den fast unüberwindlichen Schwierigkeiten bei seiner Suche
nach Recht und Gerechtigkeit und einem feinen, ehrenwerten Auftraggeber, dem
liebenswerten Leonard Reid, entgegensieht.«
»Gehören Sie zu meinen
Auftraggebern, Leonard?« fragte ich höflich.
»Sofern Sie Ihren nach Lavendel
duftenden Ruf aufs Spiel setzen, indem Sie für den verderbten Leonard Reid
arbeiten. Sie wissen schon, was man dazu sagen wird, oder nicht, mein Lieber?
Der arme Rick Holman — denken Sie sich nur, jetzt ist er nach all den Jahren
doch noch glücklich schwul geworden!«
»Das hat seine Vorteile«, sagte
ich mit leichtem Grinsen. »Die Mädchen fühlen sich sicher, bis es zu spät ist.«
»Aber, aber!« Er schüttelte
verschmitzt lächelnd den Kopf. »Außerdem würde das nur bei Jungfrauen klappen.
Und wo finden Sie schon in dieser Stadt eine Jungfrau, die bereits das Alter
der Mannbarkeit erreicht hat?«
»Ein guter Einwand«, gab ich
zu. »Was für ein Problem haben Sie?«
»Haben Sie zufällig einen
Gentleman namens Clive Jordan kennengelernt? Er hat eine Weile hier gewohnt.«
»Soviel ich mich erinnere,
nicht«, sagte ich.
»Ein interessanter Junge. Sehr
ehrgeizig. Er glaubte — wie so viele andere«, Leonard seufzte leise, »daß ich
ihm bei seiner Karriere behilflich sein könnte. Aber das ist unmöglich, wissen
Sie. Es wirkt sozusagen wie der Kuß des Todes, wenn bekannt wird, daß jemand
ein intimer Freund des gräßlichen Leonard Reid ist oder war. Clive wohnte
ungefähr ein halbes Jahr lang hier und verließ mich vor etwa zwei Monaten. Ich
war von flüchtiger Traurigkeit erfaßt.« Mit betonter Schmierenkomödiantengeste
legte er die Hand an die Stirn. »Ein paar Tage lang ist man verzweifelt, aber
dann realisiert man, daß das Leben weitergeht und daß — glücklicherweise — die
Quelle nie versiegt. Aber nun verbreitet er ein paar eigentümliche Geschichten
über mich.
Weitere Kostenlose Bücher