Eis
Wagen und die verstümmelten Menschen sagen. Aber wenn es das nicht gäbe, wenn es keine fremden Fehler und Unterlassungen gäbe, die wir so sehr kritisieren und verurteilen, aber so von Herzen und freudig ausnutzen, wie wollten wir dann im Dienst Karriere machen, außer wir erwarteten den Tod unserer Rangälteren und Vorgesetzten (ist es da nicht weit humaner, wenn wir nur deren Verfehlungen ausnutzen)? Dem Redakteur der Rubrik „Wissenschaft“, dem neuen, der an die Stelle des abgesetzten getreten war, unterlief ein gleicher Fehler in der ersten Zeit selbstverständlich nicht. Er war vorsichtig, und nicht nur, daß er in seine Spalten nichts einließ, was den amtlichen Wetterprognosen entgegengesetzt gewesen wäre, er warf auch ganz einfach, um seine Ruhe zu haben, aus seinen Spalten alles hinaus, was auch nur entfernt nach Meteorologie roch, und überließ es anderen, sich damit herumzuschlagen. Da wir aber nicht imstande sind, fremde Erfahrungen ausreichend für uns nutzbar zu machen, ja selbst ein Kind uns so lange nicht glauben wird, daß man sich an Feuer die Finger verbrennt, bis es das am eigenen Leibe erlebt hat, mußte das Unglück sich diesmal in einer anderen Spalte ereignen; in der Spalte, von der man das am wenigsten erwartet hätte und die, wenigstens bis vor kurzem, zur Meteorologie keine besonderen Beziehungen gehabt hatte: in der Wirtschafts-Spalte.
Deren Redakteur ließ im „Überblick“ einen Artikel über die Bewegungen auf dem Verbrauchssektor durchgehen – einen Routinebericht, wie er jedes Quartal gebracht wurde. Darin wurde auf die Preiserhöhung bei bestimmten Artikeln hingewiesen – was aber auf irgendeine Weise vom allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewicht künde, da auf der anderen Seite die Preise einiger Waren gesunken seien. Das Unheil kam indessen daher, daß der Verfasser diese beiden Warenarten miteinander verglich und sich bemühte, alles zu vervollständigen und mit eigenen Schlußfolgerungen zu erläutern – was gewisse überaus ambitionierte Journalisten manchmal zu tun lieben, obwohl es niemand von ihnen verlangt und niemand sie danach gefragt hat. Es ist also Rechtens, daß sie exemplarisch bestraft werden, wenn sie dabei einen Fehler begehen. Und in dem erwähnten Artikel wurde behauptet: „Wie man aus einem Vergleich mit der gleichen Periode des Vorjahres ersieht, ist der Preis sämtlicher Wollprodukte gestiegen, während der Preis für Nylon und Seide jäh absank. Auf dem Sektor der Elektroindustrie hält die Nachfrage nach Heizkörpern und Öfen aller Art noch an, während der Verbrauch an Kühlschränken und Ventilatoren vollkommen zusammengebrochen ist. Auf dem Ernährungssektor ist eine zunehmende Tendenz nach schweren, kalorienhaltigen Nahrungsmitteln aller Art zu verzeichnen, während der Verbrauch an Spezialitäten und Delikatessen abgesunken ist. Offensichtlich ist der Publikumsgeschmack zu früheren, patriarchalischen Bekleidungs- und Ernährungsauffassungen zurückgekehrt. Zugleich kann aus der Menge der verbrauchten Waren der Schluß gezogen werden, daß die Menschen sich auf eine längere Winterperiode vorbereiten.“
Der Redakteur der Wirtschafts-Spalte und der Herausgeber des Blattes wurden darauf hingewiesen, daß derartige Artikel auf dem Markt unnötige und nutzlose Reaktionen, Bewegungen und Nervositäten hervorrufen – da aber auch diejenigen, die der Redaktion das mitteilten, sich nicht getrauten, das wahre Wort auszusprechen, das Wort, das sie im Sinn und auf den Lippen hatten, passierte es, daß das gleiche Blatt in der bereits völlig verstümmelten Sport-Rubrik eine alpinistische Meldung brachte, die scheinbar völlig unschuldig und naiv war und dennoch den besonderen Zorn der Zuständigen hervorrief. Wieder handelte es sich um einen Schnitzer. Die Meldung war kurz und lautete:
„Aus Sarajevo wird uns gemeldet, daß es einer Gruppe junger und entschlossener Bergsteiger gelungen ist, trotz ausnehmend ungünstiger Witterungsbedingungen, bei ständigem Nebel, Wind und Schnee, als erste den Gletscher des Romanija-Massivs zu bezwingen.“
Wie der größte Teil unseres Zorns sich darauf richtet, etwas hervorzuheben, statt etwas auszulöschen oder zu vernichten, so konzentrierte sich der auf die Redaktion einstürzende Zorn nur auf diese eine Meldung – die im übrigen nicht einmal den Redakteuren als ungewöhnlich aufgefallen wäre.
„Also gut, bitt schön, wie lang wollt ihr dort in eurer Zeitung das so weitertreiben, uns zum Trotz?“
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