Eis
Eiszeit.“ Aber es war Juni, und draußen lag noch einen Meter hoch bläulicher Schnee auf der Erde und machte keine Anstalten zu schmelzen.
Und das Wort war gefallen und blieb an der Erde kleben und war davon nicht mehr zu lösen und nicht mehr zu verbergen. Denn ein Wort hat, wie eine Tat, sein Gewicht, und wohin es fällt, hinterläßt es seine Spur.
Es gab noch ein paar schwächliche und ungeschickte Versuche, alles das zu vertuschen. Denn was hätte man sonst auch tun können? Wie auf einem sinkenden Schiff die Musikkapelle bis zum letzten Augenblick die heitersten Melodien weiterspielt, fuhr der Meteorologe Liebling mit seinen Prophezeiungen „heiterer, frischer und etwas kühler Tage“ fort, bemüht, aus der Not eine Tugend zu machen. Dann wurden über den Rundfunk und die Presse, aber auch bei Konferenzen mehrmals Warnungen ausgegeben und auf alarmierende Stimmen hingewiesen, die, von Selbstsucht und Spekulation genährt, danach strebten, Verwirrung in den Markt und in die zwischenmenschlichen Beziehungen zu bringen und das Vertrauen der Bürger in die in der entstandenen Situation unternommenen Maßnahmen zu erschüttern, und diese Situation sei weder leicht noch einfach. Die Unbesonnenheit der Presse wurde erwähnt und mehr oder weniger offen bekanntgemacht, daß einige der rührigsten und hartnäckigsten Verbreiter von Gerüchten zur Verantwortung gezogen worden seien. Beim Namen genannt wurde davon nur einer: ein gewisser Nenad Koljitzki, Meteorologe von eigenen Gnaden, ansonsten ein sitzengebliebener Oberschüler, mehrmals vorbestraft wegen Trunkenheit und wegen Ausschreitungen auf der Straße und in öffentlichen Lokalen. Im gleichen Atemzug wurde den Menschen verkündet, daß es keinen Grund zu Aufregung und Sorge gebe. Alle wurden aufgerufen, ruhig zu bleiben und nur jenen Berichten Glauben zu schenken, die davon sprechen, daß es keine Gefahr gebe und nicht geben könne. Denn wenn es eine gebe, müßte das den Wetterämtern bekannt sein, die mit allen zur Aufdeckung einer Gefahr notwendigen Instrumenten ausgerüstet seien.
Das war die letzte Verlautbarung dieser Sorte und trug das Datum vom siebenundzwanzigsten Juni. Vier Tage danach, am ersten Juli, strahlten die Rundfunkstationen des Landes vom frühen Morgen an folgende Bekanntmachung aus:
„Bürger! In Würdigung des Ernstes und der Reife unserer Bevölkerung und ihrer so oft bewiesenen Fähigkeit, allen Unannehmlichkeiten ins Auge zu blicken, und unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden, seit Jahren gesammelten Angaben und der Ansichten der hervorragendsten Gelehrten im Inland und in der Welt halten wir es für erforderlich, der Öffentlichkeit bekanntzugeben, daß die gegenwärtigen schlechten Witterungsverhältnisse nicht vorübergehender Natur sind – wie das, unseren früheren Warnungen zum Trotz, von verschiedener Seite behauptet wird.
Nach Ansicht einer Reihe inländischer und ausländischer Gelehrter kann mit Sicherheit festgestellt werden, daß wir dieses Jahr einen sehr kalten Sommer haben werden, der sich unmittelbar an Herbst und Winter anschließen wird, so daß eine ununterbrochene Periode ausnehmend kalten Wetters eintritt. Wenn auch für Ende Juli und Anfang August wärmere Tage erwartet werden können, wird die Temperatur im Landesinnern wahrscheinlich nicht über fünf Grad unter Null ansteigen, so daß es nur in den Flußtälern im Süden, wohin milde Meeresluft vordringt, zur Schneeschmelze kommen könnte. Verhältnismäßig wärmere Tage können nur auf dem schmalen Gürtel unserer Südküste erwartet werden, aber auch dort frühestens in einem Monat – und nicht über fünf Grad über Null an der Sonne. Herbst und Winter hingegen werden sehr kalt und streng werden.
Da es sich, wie erwähnt, nicht um eine vorübergehende und kurzfristige klimatologisch-meteorologische Erscheinung handelt, sondern allem Anschein nach um Veränderungen tieferer Art, wird nach den Voraussagen der Forscher die kalte Periode damit nicht beendet sein. Im Gegenteil, es kann erwartet werden, daß sie sich nicht nur auf unbestimmte Zeit verlängern, sondern allmählich auch noch verschärfen wird, besonders in den nördlicheren und höher gelegenen Gebieten des Landes.
Aus diesem Grunde ist es erforderlich, bis zum äußersten kühles Blut zu bewahren, was, wie bekannt, dazu beitragen kann, allerlei Nöte zu überbrücken und auch die Kälte leichter zu ertragen, und jeder Panik und unnützer Erregung aus dem Wege zu gehen,
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