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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Verständigungsmethoden über weite Strecken eingeführt: Rauchzeichen, Fahnensprache, Pfeifsignale, Spiegelreflexe – dazu auch das älteste und einfachste Verfahren: Nachrichtenboten auf Skiern. Zur Stunde des Hochbetriebs, so etwa gegen Mittag, glich Belgrad, was die Zahl der Skiläufer angeht, einem Wintersportgelände.
    „Auch in dieser Beziehung sind wir in die Vorgeschichte und in die Eiszeit zurückgekehrt“, seufzte Frau Krekić. Mit Trauer sah sie sich das tote, nutzlose Telefon an. „Wenn es wenigstens brennen würde“, beklagte sie sich. Sie zeigte ihrem Mann das Tischchen, auf dem das Telefon gestanden hatte: „Da – das kannst du auch haben. Es wird deinen pyromanischen, brandstifterischen Zielen dienen, mir aber hat man auch meine letzte Zerstreuung genommen.“
    „Nu, nu!“ lehnte Krekić sich sogleich auf. „Übertreiben wir nicht! Auch heute geruhtest du in die Stadt auszufahren. Zählen diese Köter-Vierspänner bei dir etwa gar nicht?“
    „Ja, ich bin ausgefahren. Dir zuliebe, in deiner Angelegenheit, damit du dich nicht aus deinem Fauteuil rühren mußt. Und ich schäme mich, auch nur zuzugeben, wie und womit ich ausgefahren bin. Miserabel. Bettlerhaft. Mit dem Gespann eines unserer Nachbarn – des Heizers –, der erbarmte sich meiner und nahm mich mit. Wenn wenigstens auch wir statt der teuren Dackel, Pekinesen und Pinscher rechtzeitig ein paar gewöhnliche Bergköter angeschafft hätten. Wie stünden wir jetzt da – wir würden mit dem eigenen Gespann fahren und brauchten nicht vergebens deinen früheren Freund Babi‹5 anzubetteln, nur weil der sich als geschickter erwiesen und sich ein Staatsgespann für den persönlichen Gebrauch geschnappt hat. Weißt du, der hat dich aber nach Strich und Faden auf den Arm genommen und über den Löffel halbiert.“
    „Um Himmels willen, Neda! Was heißt das ,nach Strich und Faden’ und ,auf den Arm genommen’? Was sind das für Ausdrücke? Ist das die deiner würdige Ausdrucksweise?“
    „Entschuldige du, mein Lieber, wenn’s um die eigene Haut geht, dann hören die Regeln der Höflichkeit auch für Damen zu gelten auf. In der Eiszeit hat die Etikette keinen Platz; für Erpressung, Betrug und Räuberei gibt’s keine vornehmen Ausdrücke. Und ebenso nicht für das, als was du dich in dieser Zeit erwiesen hast. Du warst nicht imstande, dir zur rechten Zeit auch nur ein einziges gewöhnliches, räudiges staatliches Hundsvieh zu sichern. Und das will besagen, daß du dich als gewöhnlicher Waschlappen erwiesen hast. Une merde – wenn es dich auf französisch vielleicht weniger beleidigt.“

    Danach versiegte auch der elektrische Strom. Als erste hatte, versteht sich, die Zentrale in Belgrad zu arbeiten aufgehört, was viele Leute erzürnte, aber niemanden besonders verwunderte oder aufregte. Den Wasserkraftwerken im Landesinnern war es gelungen, ihr zu Hilfe zu kommen und sie zu ersetzen. Indessen – bald kamen sie auch selbst an die Reihe. Die Flüsse vereisten nicht nur an der Oberfläche, sondern mit ihrer ganzen Masse, und nun krochen sie nur noch wie Gletscher dahin. Sie verdorrten. Gingen in festen Aggregatzustand über. Auch alle Nebenflüsse und sogar die Quellen froren zu. Das Wasser hörte zu fließen auf. Schließlich rissen Schnee und Reif mit ihrem Gewicht die Drähte der Überlandleitungen nieder – und mit dem elektrischen Strom war es aus.
    Alles das, versteht sich, ging stufenweise vor sich, wenngleich innerhalb der kurzen Frist von nur einigen Monaten. Zuerst hatte man, aus Gründen der Ersparnis, den Haushaltungen verboten, auf Strom zu kochen, damit genügend Energie für die Industrie und für die Behörden übrigbleibe, und als man dahinterkam, worum es sich handelte, gab es Strom weder für die Industrie noch für die Haushaltungen. Und auch nicht für die Behörden. Bald erlosch die Straßenbeleuchtung, und nur noch eine Zeitlang flimmerten die Neon-Röhren auf dem Terazije-Platz: „Kauft Tobi-Kühlschränke“ – „Vitasaft, das Erfrischungsgetränk für warme Sommertage“ – „Das Belgrader Kühlhaus kühlt für Sie“ – „Tropical gegen Belgrader Hitze“ und so weiter. Dann gingen auch sie eines Abends traurig aus, mit ihnen die Lichter in den meisten Fenstern. Fast alle Häuser in der Stadt erblindeten, sie blinzelten nur noch unsicher mit dem schwachen, zitternden Licht von Petroleumlampen, Kerzen und Tranfunzeln. Beleuchtung blieb den Krankenhäusern vorbehalten und gewissen Einzelpersonen, die

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