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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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waren uninteressant geworden – Schnee, Eis und Frost hatten sich allerorts schon in einer solchen Menge eingefunden, daß es wirklich egal war, ob es sie in dem einen Land um fünf Zentimeter mehr und in dem anderen um zehn Millimeter weniger gab. Wie bereits bekannt, waren aus den Zeitungen die erregenden Berichte über die sonntäglichen Fußballspiele, Boxkämpfe, Korbball- und athletischen Wettbewerbe verschwunden, Skilaufen war definitiv in den Sektor ‚Verkehr’ hinübergewechselt, Jagd in das Gebiet (Naturalwirtschaft’. Wenn man im Auge behält, daß mit dem Verschwinden der Autos von den Straßen aus den Blättern auch die Berichte über totgefahrene Fußgänger verschwanden, daß mit der Einstellung des Straßenbahn- und Autobusverkehrs auch die Klagen der Bürger und die Streitereien der Reisenden ausblieben, ist leicht der Schluß zu ziehen, daß die Blätter tatsächlich gut und gern neun Zehntel ihres früheren Materials verloren hatten. Auch Illustrationen und Strips zündeten nicht mehr; es war derart kalt, daß die Leser beim Anblick unbekleideter Frauengestalten zu bibbern begannen.
    So reduzierten sich die Zeitungen auf insgesamt vier Druckseiten im Format von Schülerheften, und sie enthielten noch, hartnäckig, den lokalen Wetterbericht, gewisse persönliche Bekanntmachungen („Wegen der eingetretenen Eiszeit können wir unsere Freunde und Bekannten dann und dann nicht empfangen …“ ), kleine Anzeigen über Wohnungstausch, An- und Verkauf bestimmter Gegenstände. Also zum Beispiel:
    „Kaufe alle Arten Holzmalerei, Holzschnitzerei, Ikonen, schwere Holzrahmen und dergleichen. Ein Kunstliebhaber. “
    „ Alte Stilmöbel, Biedermeier und Alt-Wien, in ausgezeichnetem Zustand, zu tauschen gegen einfache, trockene Eichenmöbel oder die entsprechende Menge Buchen- oder Tannenholz. Chiffre: Handelseins.“
    Noch häufiger waren Wohnungstausch-Anzeigen zu lesen, darunter zum Beispiel:
    „Schöne, große, komfortable Villa mit Garage, in vornehmem Stadtviertel, zu tauschen gegen Einzimmerwohnung im Zentrum. Angebote unter: K-c.“
    „Eigenheim mit 7 Zimmern und schönem Garten zu tauschen gegen Garconniere in Nähe Zentrum. An die Redaktion unter: K-eki6.“
    „Komfortables Haus gegen Mädchenzimmer in Mietwohnung zu tauschen. Biete zum Haus auch einen Teil meiner Bibliothek aus gutem, hochgradig kalorienhalti gem französischen Papier. Angebote unter: Kre kić. “
    Trotz aller Unterschiede in der Formulierung sah es so aus, als habe zumindest die drei letzten Anzeigen ein und dieselbe Person aufgegeben – von irgendeinem Mißgeschick derart bedrückt, daß sie den Preis jäh herabsetzte und immer mehr dafür bot.
    Diejenigen, die früher die höher gelegenen Stadtteile bevorzugt hatten, die weniger dicht besiedelt sind und mehr Gärten und Bäume haben, suchten jetzt Wohnungen im strengen Zentrum, aber nicht in den modernen, mehrstöckigen Gebäuden mit den großen Glaswänden, sondern im Gegenteil gerade in den kleineren, altertümlichen, ebenerdigen Häusern. Und da Leidenschaften nicht den Verstand um Rat fragen, waren manche Leute derart maßlos, daß sie, nur um ihren verrückten Wunsch zu erfüllen, in die Teilung einer Wohnung mit anderen einwilligten, was sie früher immer vermieden und verlacht hatten.
    Beim Müßiggang und der Langeweile in den Büros konnte man folgende Gespräche vernehmen:
    „Sie fragen mich nach Markovic? Oh, dem geht’s wahrscheinlich gut. Der hat noch von früher her, aus der warmen Zeit, seine kleine, eingepferchte Wohnung behalten, ganz unten, noch unterhalb der Duschan-Straße, in einem alten ebenerdigen Haus.“
    „Ja, wirklich, der hat Glück gehabt. Fünfzehn Jahre hat er auf eine neue Wohnung gewartet. In diesem Jahr sollte er endlich umziehn – als, Sie erinnern sich, der Frühling ausblieb, die Eiszeit eintrat und alles beim alten blieb.“
    „Wirklich schön! Drei Familien in Zimmer und Küche. Kinder, Erwachsene – alles zusammen zwölf Personen. Die brauchen nur alle auf einem Haufen zu sein, und schon ist ihnen warm, auch ohne Heizung. Vom eigenen Atem.“
    Und so erschien in einer der letzten Ausgaben der Tagespresse ein Leitartikel, der dieser neuen Betrachtungsweise der Wohnungsfrage gewidmet war. Unter der Schlagzeile „Wohnraumproblem der Stadt endlich gelöst“ schrieb ein Redakteur: „Zu Beginn der Eiszeit – was bedeutet: erheblich früher, als man erwartet hatte – ist das Wohnraumproblem in unserer Stadt endlich erfolgreich

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