Eis
wem zusammen wir in den ersten Parkettreihen sitzen würden? Mit Studenten, kleinen Beamten, Sekretärinnen und Stenotypistinnen, die früher glücklich waren über einen Stehplatz auf der dritten Galerie. Nein, Liebe, diese Befriedigung werde ich ihnen nicht gönnen. Lieber geh ich nicht. Und fertig.“
„In Ordnung. Vielleicht hast du recht. Aber was meinst du, wie war’s, wenn ich allein ginge? Wenn aus keinem anderen Grund, dann um festzustellen, wer jetzt wo sitzt, damit wir uns besser orientieren können. Um diesen Preis lohnt es sich schon, in den vorderen Reihen ein bißchen zu frieren. Übrigens – vielleicht werd ich mich schon ein bißchen weiter nach oben durchschlagen, zu den wärmeren Plätzen. Ich werde mir von unserer Suse wollene Bauernstrümpfe ausleihen und ihr Lammfell; es wird mir nicht allzu kalt werden, und ich werde schön gekleidet sein, nach der neuesten Mode. Nach dem Eskimo-Look, wie man das heute nennt. Mein Lieber, du wirst staunen!“ wollte sie sich noch herausstreichen, aber sie merkte, daß er ihr nicht zuhörte, sondern die Eintrittskarten aufmerksam studierte. Am Fuße, wo die Kleidervorschrift zu stehen pflegt – weiße oder schwarze Krawatte –, war in winzigen Lettern zu lesen: „Kleidung: abendlicher Bauernpelz. Der Saal ist ausnahmsweise geheizt; mindestens bis zu fünf Grad.“
„Wo sind meine Stiefel?“ unterbrach er sie.
„Was willst du damit?“ verwunderte sie sich.
„Anziehn. Ich geh mit.“
„Wieso plötzlich? Du dachtest doch, es war ungünstig.“
„Ich hab mir’s anders überlegt. Wenn ich überlegen darf, darf ich doch wohl auch anders überlegen. Ich möchte gerade unter einfachen, echten Zuschauern sitzen, die bereit sind, wegen eines Theaterstücks zu frieren, weil sie die Kunst schätzen und keine Snobs sind. Ich möchte diejenigen bestrafen, die mich von der dritten Galerie aus auf dem verkehrten Platz sitzen sehen werden. Selbst abgebrühten Verbrechern ist es unangenehm, das Opfer ihrer Verbrechen anschauen zu müssen. Also, es soll ihnen unangenehm sein.“
„Gut“, sagte die Frau, „wenn du unbedingt willst.“ Und eine Viertelstunde später traten beide in Pelzen und Stiefeln vor die Haustür. Gewohnheitsmäßig hielten sie an und schauten sich um. Links vom Tor stand ein größerer Schneehügel, unter dem Plećaschs Wagen begraben lag. Sie hoben die Köpfe zu den Sternen, und genau in diesem Augenblick hörten sie von irgendwoher, weder nah noch fern, einen deutlichen, durchdringenden Schrei. Der kam näher, flog an ihnen vorbei wie eine Kugel und schlug irgendwo in der Finsternis hinter ihrem Rücken ein.
Sie blieben beim Tor stehen und lauschten einen Augenblick. Doch da wiederholte sich der Aufschrei, kalt und durchdringend wie eine Messerschneide, und rundherum, wie Treiber, die jemanden verfolgen und umzingeln, antworteten andere Stimmen. Langgezogen, unsinnig, besessen. A-u-a-u. Uuuuuuu … Als habe man ihnen die Beine gefesselt, konnten die Krekićs nicht vorankommen, und als presse ihnen jemand mit den Zähnen die Gurgel zusammen, blieb ihnen der Atem stehn. Sie legten die Hände an den Hals, um ihn zu beschützen, zogen sich einen Schritt zurück, und dann rannten beide aus Leibeskräften auf das Haus zu, von Sinnen schlugen sie gegen die Tür.
„Aufmachen!“ schrien sie. „Um Himmels willen, macht auf!“
IV
The ice was here, the ice was there,
The ice was all around:
It cracked and growled and roared and howled
Like noises in a sound!
Coleridge, „The ancient mariner“
Jedes Übel hat auch sein Gutes. Dieser bekannte Gedanke, dessen wir uns für gewöhnlich erinnern, wenn es uns schlecht, aber nur sehr selten, wenn es uns gutgeht – so daß es vielleicht besser wäre, ihn in einer etwas abgewandelten, aber genaueren Form zum Ausdruck zu bringen: Daß jedes Übel seinen Trost suche –, dieser Gedanke wurde jetzt oft erwähnt, wahrscheinlich mehr in dem Bestreben, irgendeinen Trost zu finden, als aus dem Bedürfnis, das Übel hervorzuheben. So wurde zum Beispiel schon in den ersten Tagen, als die Zeitungen noch erschienen, angeführt, daß die eingetretene Eiszeit sich günstig auf den Gesundheitszustand der Menschen auswirken werde. Besonders auf die modernen Zivilisationskrankheiten. Die Leute werden genötigt sein, sich mehr zu bewegen. Statt Auto, Autobus und so weiter zu fahren, werden sie zu Fuß gehn, was den Kreislauf ihres trägen und zu dicken Blutes beschleunigen wird. Ansteckende Krankheiten
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