Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
Vom Netzwerk:
Eiszeit auch unseren lieben Branko hier bei uns erwischt. Im übrigen möchte ich Euch grad mit diesem Brief melden, daß auch ich die Absicht habe, Belgrad bald zu verlassen, wo man die Kälte nicht länger ertragen kann. Glaubt mir, schon seit langem haben mich an diesen Ort nur Gefühle der Pflicht gebunden und das Bewußtsein, hier nützlich zu sein und gebraucht zu werden – nicht aber persönliche Zufriedenheit und meine eigene Karriere. Schon viele Male hab ich daran gedacht, mich aus diesem Gewühl zurückzuziehen: aus Sehnsucht nach heimatlicher Ruhe und der Wärme des heimischen Herdes.
    Wenngleich jetzt, in der Eiszeit, die kalten Winde auch bis zu Euch da unten vordringen, ist es bei Euch doch weit angenehmer und die Kälte milder. Ihr könnt wenigstens den Mund aufmachen, ohne fürchten zu müssen, daß sich Eure eigene Körperwärme aus Euch verflüchtigt, die wir hier für uns aufzubewahren genötigt sind. Euch ist es gestattet, frei und breit zu lachen, wenn Ihr dem Nachbarn einen guten Abend wünscht, während wir hier, verkrampft und kalt, kaum mit dem Kopf zu nicken wagen, damit er uns nicht vom steifgefrorenen Hals fällt.
    Und darum, meine Lieben, weil mit der Ankunft dieser verfluchten Zeit mein früherer Dienst überflüssig geworden ist, hab ich den Wunsch verspürt, endlich meinen alten Sehnsüchten und Träumen nachzugeben, und ich kehre wieder in unsere warme Bucht, unter unsere herzlichen Menschen zurück. Schon im voraus erwärme ich mich beim Gedanken an das Zusammentreffen mit Euch, und ums Herz wird mir wieder warm bei der Vorstellung, daß ich bald wieder am warmen Stein unseres armen, aber ehrlichen Herdes werde sitzen können. Daß ich an unseren schönen adriatischen Abenden, wenn auch zu einem bescheidenen, ärmlichen Abendbrot, in warmer menschlicher Mitte, Ihren Geschichten werde lauschen können, mein lieber Onkel Milo, Ihren Scherzen und den saftigen Antworten der Tante Danitza. Darum hab ich beschlossen, sobald wie möglich, trotz aller eventuellen Schwierigkeiten, zu Euch abzureisen und mich für immer bei Euch niederzulassen.
    Ich hoffe, es wird sich bei Euch, im alten Haus, genügend Platz für mich finden, und ich werde Euch nicht zur Last fallen, und ich bin sicher, ihr werdet mich mit Eurer angeborenen Herzlichkeit erwarten und empfangen, die so selten ist in dieser kalten Stadt, in der zu leben ich bis jetzt gezwungen war. Eure möglichst baldige zustimmende Antwort erwartend, sende ich Euch:
    Viele glühende, flammende und herzliche Grüße. Stole Plećasch.“
    Er las den Brief noch einmal durch und fand alles in Ordnung. Nur beim Schluß wurde er nachdenklich. Die erhobene Feder in der Hand, saß er so eine Weile da. Zuerst strich er jenes ‚glühende’ durch, danach ‚flammende’ und zum Schluß auch das ‚herzliche’ in der Grußformel.
    Als wolle er diese Worte für sich behalten, damit sie nur ihn erwärmen.
    In diesen Tagen gab es die letzten Theateraufführungen. „Ich geh nicht!“ erklärte Herr Krekić beim Betrachten der Eintrittskarten. „Das kann ich nicht länger zulassen. Schick den Boten zurück!“ schrie er seine Frau an. „Er soll diese Einladung dorthin zurückbringen, wo er sie her hat.“
    „Ich weiß nicht, was daran so schlecht ist“, sagte sie. „Man hat uns sogar bessere Plätze geschickt. Mein Gott, was willst du denn? Es ist nur eine einzige Reihe vor uns – und früher haben wir in der siebenten oder achten gesessen.“
    „Aber darum handelt es sich ja. Sie haben uns die am tiefsten gelegenen Plätze gegeben! Wo sich die ganze kalte Luft aus dem Saal anhäuft und es von der Bühne herunter eisig zieht. Als die erste Reihe gut war, gaben sie uns kaum die siebente, und nun teilen sie uns die zweite zu, wo die dritte Galerie der beste Platz geworden ist. Ich würde wetten, daß Babic sich ein warmes Plätzchen auf der ersten, vielleicht sogar auf der zweiten Galerie gesichert hat.“
    „Meinst du? Und wo soll er das herhaben?“
    „Woher? Das weiß man doch. Der dichtet jetzt die Eiszeit an. Für Jäger und Chefmeteorologen. Schon das letztemal hab ich bemerkt, daß er im ansteigenden Teil des Parketts saß, und die ganze Zeit drehte und reckte er den Kopf und schaute zur dritten Galerie hinauf, wo jetzt Liebling saß, der Chefmeteorologe, Jovan der Jäger und andere Bevorzugte, und aus den Gesetzen der Physik ist gut bekannt, daß sich dorthin, direkt unter die Decke, die gesamte warme Luft erhebt. Und was meinst du, mit

Weitere Kostenlose Bücher