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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Petroleumlampen, Kerzen und Tranfunzeln. Beleuchtung blieb den Krankenhäusern vorbehalten und gewissen Einzelpersonen, die aus bestimmten wichtigen Gründen auch daheim arbeiten mußten.
    Und so spähten aus der Dunkelheit ihres kalten Saustalls vier helle Augen in die Nacht, gelb, kalt und unbeweglich, wie Käuzchen, Eule und Uhu. Die Stirnen an die kalte Fensterscheibe gedrückt, schauten zwei Höhlenmenschen in die dunkle Nacht – in die gewaltigen, wundersamen Flammen, die, ohne zu schwanken, die Fenster des Hauses gegenüber erleuchteten. Sie starrten unverwandt, wie angeschmiedet, vom Licht angezogen wie wilde Tiere, die sich nicht zu nähern wagen und doch nicht wieder weg können. Dann meldete sich als erste die Stimme der Frau.
    „Siehst du?“ fragte sie leise und doch barsch.
    „Ich sehe“, gestand die Stimme des Mannes reumütig.
    „Schon wieder sie!“
    „Ja, sie …“
    „Als einzige in der ganzen Stadt!“
    „Als Künstler und Kulturschaffende … Paragraph drei, Artikel fünf der Verordnung.“
    „So! Und in wieviel Zimmern arbeiten sie zu gleicher Zeit? Vielleicht als Stoßaktivisten in mehreren Schichten zugleich? Wieviel Glühbirnen müssen im Zimmer eines Künstlers und Kulturschaffenden brennen? Wenn ich mich nicht irre, hat man diese ganze Arbeit früher mal viel besser und geschickter bei einer einfachen Kerze oder gar bei einer Tranfunzel erledigt. Ob wohl Shakespeare und Dante, als sie ihre Werke schrieben, alle Leuchter in allen sieben Zimmern angezündet haben? Übrigens – dieser Krekić, das ist mir grad der richtige Shakespeare oder Dante. Für das, was der zusammenkritzelt, würde das Licht eines einzigen Streichhölzchens genügen – um das Papier anzustecken, auf dem er die Krähenfüße seiner Buchstaben und den Hühnerverstand seiner Gedanken aneinanderreiht. Aber man sieht ja, es ist ihm gelungen, sich auf die Liste derjenigen zu schaffen, denen man die Beleuchtung gelassen hat. Angeblich muß er arbeiten – in Wirklichkeit schaltet er nur alle Glühbirnen ein, um sich dran zu wärmen. Und du? Hast du nicht wenigstens die Gedichte vorzeigen können, die du mal für mich geschrieben hast, bevor wir verheiratet waren? Und hättest du aus deiner versengten, vertrockneten Beamtenseele nicht wenigstens einen Vers herauspressen und ihn zu dieser Gelegenheit veröffentlichen können, damit man auch dir das Recht auf Licht zuteilt?“
    Sie hielt an – und da flammte im Haus gegenüber plötzlich, unerwartet auch unter dem Dach, im achten Zimmer, und draußen vor dem Tor das Licht auf. Die beiden hatten das nicht erwartet, sie standen plötzlich angestrahlt da und zogen sich eingeschüchtert tiefer ins Zimmer zurück.
    „Siehst du!“ sagte sie und faßte mit zwei Fingern seinen Oberarm an. „Siehst du!“ wiederholte sie. „Ach, du Waschlappen!“
    Er quiekte leise auf, wie ein Mädchen bei einer unangenehmen fremden Berührung, sie aber kniff schon die Finger zusammen wie die Zange eines Hirschkäfers.
    Und da, während die zwei ihre Köpfe wieder dem Fenster näherten, gingen auf der anderen Seite mit einem Schlag alle Lichter aus. Alle acht gelben Fensterflächen auf einmal. Finsternis trat ein – dicht, undurchdringlich, derart schwarz, daß sie meinten, sie wären von dem Schein auf der Straße plötzlich erblindet. Sie faßten sich an die Augen: die Augen standen offen. Sie schauten hinter sich: auch dort war nichts zu unterscheiden. Auch im Zimmer war es vollkommen dunkel. Sie bekamen Angst, schauten einander an und entdeckten gegenseitig auf dem Grund der Augen des anderen die kleinen gelblichgrünen, eiskalten Flämmchen des Hasses und der Bosheit. Nein, sie waren nicht erblindet. Und wieder schmiegten sie sich an die Scheibe und spähten in die finstere Nacht.
    Allmählich beruhigten sich ihre Herzen und schlugen wieder ruhig in der kalten Dunkelheit ihrer Leiber.
    „Na also“, sagte er leise, „ist dir jetzt wohler? Ist dir jetzt ein wenig heller davon, daß auch fremde Lichter erloschen sind?“
    Sie schwieg.
    „Nein“, fuhr er fort, „es ist dir um nichts wohler, um nichts heller. Wer kein Licht hat, kann sich wenigstens an fremdem Licht orientieren. Aber jetzt gibt’s überhaupt keins mehr, bei niemandem und nirgends.“
    Über der ganzen Stadt lag schwarze, dichte Dunkelheit. Sie drückte mit ihrem schwarzen Gewicht die Dächer nieder und begrub sie unter sich.
    Noch einmal an jenem Abend blinkte für einen Augenblick, wie ein Blitz, irgendwo das

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