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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Licht auf, dann verlosch es für immer. Es gab kein elektrisches Licht mehr in der zweiten Eiszeit des Menschen.
     
    Wenn es wenigstens Polarlicht gegeben hätte – das irgendwo tief am Horizont seine rosa Fahne im kalten Nachtwind hätte wehen lassen. Wenn wenigstens die nördliche Sonne in den weißen Nächten ihren flachen Kreis über der gefrorenen Erde beschrieben hätte, um mit ihrem Licht die Finsternis zu vertreiben, wenn sie schon, schwach wie sie war, die Kälte nicht verjagen konnte. Oder wenn wenigstens der bleiche und kalte Mond aufgegangen war in dieser und den folgenden Nächten. Aber auch er schien sich an einen warmen Ort verkrochen zu haben.
    Mißmutig wachte man auf, kroch aus dem pelzgefütterten Schlafsack. Warmes Wasser zum Rasieren gab’s nicht, die Elektrorasierer taten’s nicht mehr, die Männer fingen wieder an, sich Barte stehn zu lassen. Und zwar zottige, ungepflegte, schmutzige, verwahrloste Barte. Besonders die jüngeren, die es nicht nötig hatten, jünger auszusehn, als sie waren, vielmehr lieber älter aussehn wollten. Diese Pariser Mode verbreitete sich mit dem Eis um die ganze Welt, sie trieb die Mädchen an, enge Hosen und schwarze dicke Wollpullover zu tragen, und die Burschen, ihr Gesicht mit einem Bart und ihre Schlappohren mit lang herabhängendem Haar zu verdecken.
    Bei den Babics wurde morgens noch Tee getrunken. Nachdem sie aus den Säcken geschlüpft waren, fachte die Frau mit Stochern und Blasen das Feuer im Kohlenbecken an, das auf einem Dreifuß mitten im Zimmer stand, während der Mann benommen und durchgefroren elendiglich auf der Bettkante saß und derart zitterte, daß seine herabhängenden Beine wackelten.
    Danach tranken sie lange und langsam dieses warme, kaum gefärbte, ungesüßte Wasser, mit Genuß, laut schlürfend, ohne Rücksicht auf die Regeln feinen Benehmens, beide auf ihren Säcken, die Beine mit Fußlappen umwickelt, diese mit Bindfaden verschnürt. Alles war so, als säßen sie im fernen Sibirien auf einem Ofen, nur daß in ihren Händen Silberlöffelchen und Tellerchen und Täßchen aus feinem Meißner Porzellan klimperten.
    „Matriarchat!“ fing Babic schließlich zu sprechen an, während er zusah, wie seine Frau um die Glut hantierte. „Die primitive Geschlechtergemeinschaft der Eiszeit! Also, die Soziologen hatten doch recht.“
    Sie hatte nicht gut gehört oder ihn nicht verstanden. „Was hast du gesagt?“ fragte sie.
    „Nichts, nichts. Ich hab mich nur an ein Buch erinnert. Aber es existiert nicht mehr. Verbrannt – als Opfer deiner Inquisition.“
    „Buch, sagst du? In Ordnung, sortier mir zwei aus für morgen. Die letzten waren ganz schlecht. Fast unbrauchbar. Von wem war denn das?“
    „Von wem? Krekić. Krekićs Werke.“
    „Ach so. Dann wunder ich mich kein bißchen. Die Bücher eines so kalten Menschen konnten auch gar nicht wärmer sein. Nicht einmal das Wasser wollte von ihnen aufkochen.“ Er drehte sich nach dem Bücherregal hinter seinem Rücken um. Eine Buchreihe fehlte schon – an den Abdrücken an der Wand konnte man genau sehen, wie weit sie gereicht hatte. Und auch die Reihen in den übrigen Fächern waren schon tüchtig gelichtet.
    „Also?“ fragte sie im Befehlston. „Gib mir zwei. Such sie selbst aus. Ich misch mich da nicht ein. Ich lasse dir volle Freiheit der Wahl, aber wenn du auch morgen Tee trinken willst, umgeh Krekićs und deine eigenen Gedichte. Das kann man nicht mal zum Feueranmachen verwenden.“
    „Freiheit der Wahl! Danke! Wirklich, eine schöne Freiheit! Was soll ich mit ihr anfangen? Bald wird sie mir völlig unbrauchbar und überflüssig sein. Ich werde nichts mehr zu wählen und nichts mehr auszuwählen haben.“ Dennoch ging er zum Regal und begann unter den Büchern zu kramen. Schließlich wählte er zwei aus – und stellte sie wieder auf ihren Platz zurück. Er lehnte den Kopf gegen die Wand und schluchzte laut auf.
    „Laß das!“ sagte die Frau grob. „Das hilft dir gar nichts. Du erzeugst im Zimmer überflüssige Feuchtigkeit – und du weißt selbst, was davon an den Wänden wächst. Wegen deiner Dichtertränen haben wir ohnehin schon drei Zimmer verloren.“
    Dennoch tat er ihr leid, und sie ging das Essen holen. Sie wußte, daß sie ihn auf diese Weise am leichtesten beruhigen und trösten konnte. „Wie möchtest du, daß ich’s dir zubereite? Durchgedreht oder geschnitzelt?“
    Er verglich eine Reihe von Zeichen an der Wand, mit Kohle drangeschrieben. „Nein“, sagte er,

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