Eis
haben errechnet, daß das Eis an den Polen mehrere zehntausend Jahre alt ist und noch aus den Tagen der ersten Eiszeit stammt. Welches Papier könnte sich mit einer solchen Haltbarkeit messen! Im Eis haben sich durch Tausende von Jahren die Leiber des Mammuts und anderer längst ausgestorbener Tiere erhalten – und auch Muster einer Vegetation, die es heute nicht mehr gibt. Die Geologen und Paläontologen sagen, das Eis sei das beste Geschichtsbuch der Erdkugel, in ihm seien die meisten Angaben aus ihrer Vergangenheit niedergelegt. Welches Buch hätte eine so lange Lebensdauer? Du weißt auch selbst: Habent sua fata libelli – Auch Bücher haben ihr Schicksal.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber soweit ich mich erinnere, gibt es auch die Verszeile: ,Doch wohin ist der Schnee vom letzten Jahr? ‘ Es ist schön und gut, was du sagst, aber auch die Sonne ist zu fürchten.“
„Nun, um so besser, wenn die Zeiten sich wieder ändern. Alles, was in dieser eisigen Zeit niedergeschrieben wurde, wird dann schmelzen und lautlos und ohne Spur zu hinterlassen in den Flüssen und Ozeanen verschwinden – was bedeutend angenehmer und sicherer ist als das, was sich nach dem letzten heißen Krieg ereignete, als alles schwarz auf weiß erhalten geblieben und eine Quelle für soviel Unannehmlichkeiten war.“
Die Frau räumte den Tisch ab, faltete Tischtuch und Servietten zusammen, trug Teller und Geschirr hinaus und kam bald, in einen Pelz gehüllt, wieder, zum Ausgehn bereit. Er sah sie verwundert, fragend an.
„Jovans Frau wird mir ein Gespann schicken“, sagte sie. „Wir haben ausgemacht, daß ich heut abend zu ihnen komme. Sie schneidert Pelze und hat noch nicht genügend Geschmack. Es sind erst knapp vier Monate her, daß sie es zu was gebracht haben, und es gehört sich, daß ich ihr zur Hand gehe. Und was machst du derweil?“
„Ich? Ich werde noch ein paar Gedichte schreiben. Für Meister Jovans nächste Jagd. Außerdem etwas Passendes zu seinem Geburtstag. Auf Wiedersehn also. Und bei den Krekićs willst du also nicht mal ‘reinschauen?“
„Vielleicht. Ich bin nicht sicher, ob ich’s aushalten werde, es nicht zu tun. Wenn aus keinem anderen Grund, so, um mich ihnen wenigstens mit dem Gespann zu zeigen und vor ihnen meinen neuen Bärenpelz zu loben.“
„Ich hab’s gewußt! Aber es war besser, du tätest es nicht. Es könnte uns nur unangenehme Verpflichtungen auf den Hals laden. Sie wollten hoch hinaus, nun sind sie tief gefallen. Warum haben sie sich in den falschen Zug und in eine fremde Klasse gesetzt? Oder, wenn sie schon haben kommen sehn, was ihnen blüht: Warum sind sie da nicht wenigstens rechtzeitig umgestiegen? Man muß nicht immer und um jeden Preis vornehm und exklusiv sein. Sie haben den Verkehr mit dem Generaldirektor gesucht – und er, sieh da, ist ohne Direktion geblieben; sie haben’s mit dem von der Staatlichen Reserve versucht, aber der hat sich als kalt und reserviert erwiesen; dann scharwenzelten sie um den Vorsitzenden des Jägerverbandes herum – und wußten nicht, daß das bei uns nur ein Ehrenamt ist und der Mann nicht imstande, auch nur einen Hasen zu erlegen. Meine Lieben, es ist eine Sache, ein Sonntagsjäger zu sein, und eine andre, Jäger in der Eiszeit … Das erste ist Zeitvertreib und Mode, eine Sache des gesellschaftlichen Prestiges, das zweite aber Jagdwirtschaft und Existenzkampf. Haben wir uns also verstanden? Nichts mit den Krekićs“, fügte er hinzu, als sie das Haus verließ.
Die Zeitungen wurden immer schmaler und immer dürrer. Und das nicht nur wegen des chronischen Papiermangels; an diese Krankheit unserer Presse waren Redakteure und Mitarbeiter schon gewöhnt, ja selbst die Leser – denen allerdings gerade jetzt, in der Eiszeit, mehr als je Papier fehlte, zum Feuermachen, zum Fensterputzen und für andere sanitäre Zwecke.
In Wirklichkeit krankte, um uns medizinisch auszudrücken, die Presse an permanenter Unterernährung. Die lebenspendenden Säfte, von denen sie sich früher ernährt hatte, waren versiegt, und nur mit Mühe gelang es ihr, die paar Seiten zu füllen, die ihr noch verblieben waren. Infolge des Ausfalls der telefonischen, telegrafischen und Funkverbindungen gab es immer weniger Nachrichten. Und, genau gesagt, es gab auch nichts mehr zu melden. Die Verkehrsverhältnisse verhinderten Staatsbesuche, politische Reisen und den Austausch diplomatischer Noten, es gab keinen internationalen Tourismus mehr, keinen internationalen Schmuggel,
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