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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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wie befreit von langer Bangnis und Ungewißheit. Befreit von jener quälenden Erwartung, ob auch an ihn die Reihe kommen würde. Ob auch er ohne jede Verwendung, Beschäftigung und Stellung bleiben würde. Ob auch er auf diese Weise tatsächlich völlig unbrauchbar und überflüssig werden und ob sie eines Tages auch ihn, den gewesenen Generaldirektor, für unnütz und überzählig halten würden. Nun brauchte er nicht länger für die Erhaltung irgendeines Amtes und Ansehens in der Gesellschaft zu kämpfen. Endlich frei und unabhängig, würde er nicht mehr das Bedürfnis haben, sich wichtig zu machen, sich aufzunötigen, sich in die Höhe zu recken – dies alles ohne die Möglichkeit, sich auch nur für einen Augenblick auszuruhn, sich wie ein Igel einzurollen oder sich gehnzulassen, sondern statt dessen dauernd so zu tun, als war er mehr, als er war, gewichtiger und wichtiger, als er es je gewesen. Und dies alles verbunden mit der unangenehmen Empfindung, die anderen durchschauten schon, daß er sie belog und betrog und errieten in Wirklichkeit längst, daß er nichts mehr bedeutete und nichts mehr vorstellte. Warum sollte er sich vergebens lächerlich machen? Er würde jetzt wieder ruhiger, sorgloser werden, mit besserer Verdauung und gesünderem Schlaf, befreit von der Notwendigkeit, sich um diese Ruine zu kümmern, von der ohnehin nur vereiste Betonwände übriggeblieben waren.
    Vorsichtig kehrte er in der alten Spur zum Tor zurück und drehte sich zum Abschied noch einmal, ein letztes Mal, um. Der Garten unter dem tiefen Schnee, jetzt ohne Bäume, ja selbst ohne Sträucher, glich einem abgeernteten Krautacker. Er erinnerte sich der Zeit, als er den Garten in Ordnung gebracht und gepflegt hatte in dem Bestreben, eine Art botanischen Garten daraus zu machen; aber das war schon die letzte Empfindung dieser Sorte. Fröhlich und leicht stieg er in die Stadt hinab, und zum erstenmal war ihm, als unterscheide er sich durch nichts von der Mehrzahl der übrigen Passanten und als sei er vollkommen mit ihnen verschmolzen. Es schien ihm, als könne ihn jetzt niemand erkennen und anhalten. Und dennoch zog er die Pelzmütze tiefer in die Stirn. Für alle Fälle.
    Der Tag war heiter. Einer jener schönen, angenehmen, warmen Eiszeittage, an denen das Quecksilber im Thermometer sogar bis auf zehn Grad unter Null anstieg. Ein paar jüngere Menschen flogen auf Skiern an ihm vorbei. Auch ein paar Hundeschlitten fuhren in Richtung Stadt; die Leute kehrten von der Jagd zurück. Manche sogar mit schwerer Ladung. Wirklich schade, daß er eines kalten Tages sogar den Kolben seines Gewehrs aus den Kriegstagen verheizt hatte. Aber im übrigen würde die Waffe ihm jetzt sowieso nichts nützen: Lauf und Schloß waren längst zugefroren. Er erinnerte sich, daß auch er als Knabe mit Geschick Gummischleudern, Pfeil und Bogen gebastelt, auf Vögel geschossen, Fallen gestellt und Erdzeiselchen gejagt hatte. Vielleicht könnte er’s wieder versuchen, w« weiß, vielleicht hatte er doch nicht alles vergessen, vielleicht könnte auch er jetzt ein Jäger werden, fähig, sich selbst zu ernähren. Nur fragte er sich, ob er nicht schon zu alt, zu weich, zu fett und zu schwächlich geworden sei, um wieder ein notwendiges und nützliches Mitglied der Gemeinschaft zu werden – womöglich sogar (es war ihm angenehm zu fantasieren) ein herausragender Jäger, der Anführer einer Jägerkumpanei, der Häuptling eines Jägerstammes. Ach, wie würde er’s dann all denen heimzahlen, die ihn für gewesen, überflüssig und unbrauchbar erklärt hatten! Im feinsten Zobelpelz würde er vor sie hintreten, geschmückt mit den aufgereihten Zähnen und Krallen wilder Tiere, und ohne sie anzuschauen, würde er ihnen die gröbsten, schmutzigsten, erniedrigendsten Arbeiten zuweisen, Häuteabzieher und Darmwäscher, und selbst dafür würden sie ihm dankbar sein, denn auch das wär für sie besser, als überflüssig und somit vereist zu werden. Er würde seinen Freunden zeigen, was er noch wert war, und den Krekić’s, Babić und den andern würde er je eine schwerere Keule schicken, Dara auch einen guten Bärenschinken dazu.
    Er rutschte aus und fiel hin; in Gedanken versunken, hatte er nicht aufgepaßt, wo er hintrat. Er spürte im Fuß einen abscheulichen Schmerz und war fast bewußtlos geworden. Er versuchte aufzustehn. Sein linker Fuß versagte ihm den Dienst, und es gelang ihm nicht, sich aufzurichten. So lag er da und suchte mit den Augen vergebens nach etwas,

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