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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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woran er sich festhalten konnte. Ein paar Leute eilten vorbei, ihren Geschäften nach, und kümmerten sich nicht um ihn, der da im Schnee lag. Einer, dem er im Weg lag, übersprang ihn, besser gesagt: ging um ihn ‘rum und lief weiter, ohne ihn anzuschaun. Er rief ein paar Vorübergehende um Hilfe an und streckte vergebens die Hand nach ihnen aus. Sie taten, als bemerkten sie ihn nicht. „Laß ihn“, sagte eine Mutter zu ihrem Kind, das sich ihm genähert hatte, um zu helfen; „wer weiß, was für eine Schererei daraus werden kann.“ Ein kräftiger Mann, den er am Hosenbein zu packen bekam, riß sich grob los und setzte seinen Weg in die Stadt fort. „Laß diese Dummheiten, Freundchen“, sagte er. „Jetzt ist Eiszeit. Jetzt kümmert sich jeder um sich selbst.“
    „Bleib du nur liegen!“ empfahl ihm ein anderer. „Ich verständige den öffentlichen Rettungsdienst. Gleich kommen sie mit dem Schinderwagen, um dich zu vereisen.“
    Er erschrak. Noch einmal, mit letzter Kraft, versuchte er aufzustehn, wälzte sich ein paar Schritte und biß vor Schmerzen in den Schnee. Ein Jäger mit Pfeil und Bogen in der Hand kam heran und beugte sich über ihn. Ach! dachte er, der wird mich jetzt erschlagen. Er wird mich hier auf der Straße im Schnee totschießen wie einen räudigen, erschöpften, überflüssigen und unbrauchbaren Hund. Er wird mich fertigmachen, aus dem Weg schaffen, in einen Graben werfen mit tiefem Schnee. Hilfe, Hilfe! Rettet, rettet, ihr Leute! Ich bin Generaldirektor! Ich bin euer, ein Hiesiger, ein Mensch, um Gottes willen, doch kein Hund!
    Das wollte er schreien. Aus Leibeskräften. Aber vor Angst zog sich ihm die Kehle zusammen, und nur irgendein hündisches Gejauner und Gewinsel kam ihm über die Lippen. Und mit hervorgetretenen, weit aufgerissenen Augen beschwor er: Nicht, nicht, nicht! Aber der andere beugte sich drohend weiter über ihn. Er schloß die Augen, um wenigstens nicht sehen zu müssen, wie die scharfe Pfeilspitze ihn durchstach und tötete. Er spürte, wie ihn etwas von der Erde aufhob, wie er hochstieg, schwerelos, als war er schon tot und seine Seele, vom Leib befreit, steige in den blauen Himmel auf. Schließlich, so dachte er, ist sterben nicht einmal so schrecklich! Der Tod ist irgendeine Art vollkommenen Vergessens – des schönsten, allmächtigsten Vergessens; denn offenbar verspürte er nicht einmal den gewaltige^ Schmerz, den der Jäger, ihn mit dem Pfeil durchbohrend, ihm zugefügt haben mußte. Er schlug die Augen auf, um zu sehen, wie diese andere Welt, in der er gelandet war, aussah. Paradies oder Hölle? fragte er sich, und fast wünschte er sich diesen zweiten, den wärmeren Ort.
    Aber – das erste, das er auch hier erblickte, war Schnee und Eis. Das heißt, nicht einmal das Sterben hatte einen Sinn gehabt. Anscheinend war auch in der anderen Welt Eiszeit. Dann spürte er über sich irgend jemandes kräftige, dicke und schwarze, teuflische, beziehungsweise luziferische Haare und Stacheln. Er spürte Bärengeruch in der Nase und eine haarige Berührung, und davon mußte er niesen, sosehr er auch versuchte, es zu unterdrücken – als etwas Unanständiges und Unpassendes bei der ersten Begegnung mit der anderen Welt, und wenn’s die Welt des Teufels war.
    „He, Brüderchen“, hörte er Luzifers vorwurfsvolle, rauhe Stimme, „du bist aber verweichlicht, fett geworden und verwahrlost. Für dich würde ich keine fünf Heller geben.“
    Na gut denn, dachte er. Wer weiß – vielleicht ist das um so besser für mich, obwohl ich mich im Fegefeuer der Hölle vermutlich ordentlich aufwärmen würde. Und ich gestehe, ich würde mich weder beschweren noch jammern, so sehr es auch weh tun und brennen würde, wenn’s nur anständig warm und heiß genug war. Aber wenn ich nicht einmal mehr fünf Heller wert bin, wird mir nichts übrigbleiben, als mich in das kalte und ehrbare Paradies zu verlangen. Ohnehin schätzt man dort mehr die Niedrigen, die Armen, die nicht einmal fünf Heller haben.
    „Nein“, fuhr Luzifer fort, „nicht einen Tag tat ich dich in meiner Horde halten. Was bist du von Beruf?“
    „Generaldirektor!“ sagte er. „Generaldirektor der Direktion für allgemeinen Verkehr.“ Er erinnerte sich, daß es im Himmel, aber auch in der Hölle, keinen Sinn hatte zu lügen, denn vom Himmel her sieht man ohnehin alles, und aus der Hölle stammen ja die Lügen, dort sind sie als heimisches Produkt bestens bekannt. „Gewesen“, fügte er deshalb hinzu.

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