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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Käuzchens zu tauber Nachtzeit oder wie der Klagelaut eines Kindes irgendwo weit weg im unbegrenzten Raum. Der Wind pflegte nach Nord zu drehen, brachte von den Feldern Schneestaub mit und verwob dahinein Ausschnitte dieses geheimnisvollen Gezeters, das nirgendwo herrührte. Nichts daran war ungewöhnlich oder gar schrecklich, und doch schüttelten die Menschen sich davor, ließen die Arbeit stehn und lauschten. Eine unbestimmte Qual erfaßte sie – wie vor einem Unglück, das wir kommen spüren, ohne die Mittel, die Kraft und den Willen zu haben, uns dagegen zu wehren –, und mit einem stummen Seufzer zogen sie sich in ihre Häuser zurück, und sie sagten niemandem, was sie gehört hatten und was sie empfanden. „Vampire – Alp – Pest!“ tuschelten die alten Wahrsagerinnen und bekreuzigten sich; empfindsame Naturen aber behaupteten, es winsle da weit weg von hier ein lebendes Wesen in der Folter. Vielleicht ruft ein verirrter Wandersmann vergeblich um Hilfe? fragten sich die Frauen, während sie ihren Familien das Abendbrot zurechtmachten; oder trennt sich da tatsächlich in diesem Augenblick eine Seele von ihrem Leib? „Nord!“ sprachen hart und karg die Männer – wie sie das machen, wenn sie mit fest zusammengepreßtem Herzen von einem großen Unglück sprechen –, und man wußte nicht genau, woran sie dabei dachten: an den Frost und das Eis, an Schnee und Nordwind oder an die Schreie, die der Nordwind in seinem kalten Schoß mit sich führte. Einzig die Kinder waren noch ruhig. Nichtsahnend schliefen sie, die Wangen gerötet, in ihren Betten. Nur zuweilen zuckten sie im Traum zusammen, während die bekümmerten Blicke der Eltern auf ihnen ruhten.
    Seltsam, wirklich. Irgendwas kam näher, wurde stärker und häufiger, aber niemand sprach deutlich darüber, von amtlicher Seite wurde nicht ein einziges Wort darüber verloren, noch in der Zeitung darüber geschrieben. Die Leute verhielten sich dieser Erscheinung gegenüber wie die Verwandten und Freunde gegenüber einem Kranken, an dem allmählich, aber immer ausgeprägter, die Anzeichen eines verhängnisvollen Leidens zu bemerken sind, und obwohl alle dessen Siegel schon deutlich sehen, will niemand es erwähnen: alle halten sich an den primitiven Glauben, daß man durch Verschweigen etwas verhindern oder beseitigen könne. Aber wie hartnäckige Krankheiten weder von Ärzten noch von Medizinmännern durch Beschwörung gebannt werden können, so ließen diese Schreie sich weder durch Schweigen noch durch Verschweigen zum Verstummen bringen. Die geheimnisvollen nächtlichen Stimmen waren immer weniger zu verheimlichen. Gegen Abend, kaum daß es zu dämmern begonnen hatte, stieg der erste einsame Aufschrei wie Sirenenalarm zum Himmel auf. Und als habe damit der Anführer irgendwelcher Dämonen seinen Aufruf und die Übernahme der Kommandogewalt über die Nacht verkündet, zog alles Lebendige sich sofort zwischen seine vier Wände zurück.
    Doch auch hier fühlte sich niemand mehr vollkommen sicher. Der unangenehme Ruf des Nordens war auch hier im Zimmer unter den Menschen. Die Scheiben schienen davon zu erzittern, das Licht zu flimmern und die Flammen der Feuerstelle zu flackern. Und die Nacht, die Nacht wurde zur Nachtwache: fürs Lauschen, Lauern, Bangen und Feuerhüten, aber nicht zum Ausruhn und zum Schutz vor den Nöten des Tages. Die Menschen lagen auch nachts wach wie die übrigen Kreaturen.
    Sie legten sich näher ans Feuer, solang es noch Feuer gab. Sie saßen beim Fenster und starrten in die Nacht wie aus Fuchsbauten. Der Wind wirbelte den Schnee zu Gebilden zusammen, die wie Bären, Mammute, Wisente, Rentiere aussahen, und zerstreute sie wieder. Aber es war, als hielten sich in jedem seiner Atemzüge ein Paar helle Augen und jener Aufschrei verborgen, der einmündete in ein einziges Aufheulen der kalten Polarnacht.
    Von Zeit zu Zeit verschwand irgendein Mensch, stumm und spurlos. Er war auf den Hof gegangen, um aus dem Schuppen noch ein Stückchen Holz zu holen, und kehrte nicht wieder. Er verflüchtigte sich in der Nacht, wie in ein tiefes dunkles Wasser geworfen, und nichts blieb von ihm zurück; nicht einmal seine Spuren im Schnee. Auch die hatte der Wind bis zum Morgen verweht. Man sagte: Die Finsternis hat ihn verschlungen, die Pest ihn gefressen – und so weiter.
    Eines Tages, am frühen Nachmittag, lief, neugierig nach allen Seiten schnuppernd, ein Eisbärenpaar über den Platz Terazije, und bevor sich noch jemand fassen konnte, war es in

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