Eisblume
Bereitschaft und wollte nicht, dass ihr Schlaf gestört wurde.
Im Gegenlicht des Flurs konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, sah nur ihre Silhouette, sehnte sich danach, sie in seine Arme zu nehmen und nie wieder loszulassen.
»Nein.«
Sie blieb schweigend im Türrahmen stehen, wartete darauf, dass er etwas sagte. Er schwieg.
»Und wer ruft dich dann mitten in der Nacht an?«, fragte sie schließlich.
Brander seufzte, nippte an seinem Glas. »Daniel.«
»Daniel?« Sie kam ein paar Schritte in den Raum. »Ist etwas passiert? Ist was mit Julian?«
Der Sohn von Branders Bruder Daniel hatte eine Zeit lang sehr über die Stränge geschlagen.
»Nein.«
Jetzt war es Cecilia, die laut seufzte. Sie legte den Kopf zur Seite. Er meinte zu erkennen, dass sie blinzelte, um sein Gesicht im matten Licht besser sehen zu können.
»Andi, ich bin müde und muss morgen früh raus. Dein Bruder ruft dich mitten in der Nacht an, und dann setzt du dich allein ins dunkle Wohnzimmer und trinkst Whisky. Irgendetwas muss doch passiert sein!«
»Babs …« Er stockte, spürte einen harten Kloß im Hals. Er räusperte sich, suchte nach den richtigen Worten. Wie etwas sagen, was man noch nicht begriffen hatte? »Babs liegt im Krankenhaus. Sie kommt vielleicht nicht durch. Sie …«
»Um Gottes willen.« In wenigen Schritten war Cecilia bei ihm, setzte sich zu ihm auf das Sofa.
Er fühlte ihre kühle Haut durch sein T-Shirt. Sie hätte den Morgenmantel überziehen sollen, dachte Brander. Er legte den Arm um ihre Schultern, zog sie fest an sich, wollte sie wärmen, wollte sie bei sich wissen. Sicher und geborgen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Cecilia nach einer Weile. Sie strich sich eine Strähne ihres langen Ponys aus dem Gesicht und sah zu ihm.
»Sie … sie hat versucht, sich das Leben zu nehmen.« Es tat weh, diesen Satz auszusprechen. Seit mehr als zwanzig Jahren kannte er seine Schwägerin. Eine fröhliche Frau. Eine Frau, die das Leben anpackte. Eine Frau, die sich nicht so leicht unterkriegen ließ. Hatte er zumindest immer gedacht. »Ich …« Er schüttelte den Kopf, konnte es einfach nicht fassen. »Julian hat sie gefunden.«
Er spürte, wie sich Cecilias Körper verspannte. Er zog sie noch enger an sich, kippte den Rest des Whiskys in sich hinein.
»Warum?«, fragte Cecilia nach einer Weile.
»Ich weiß es nicht.« Daniel hatte nicht viel erzählt. Hatte nicht viel erzählen können. Die meiste Zeit hatte er geweint.
»Willst du nach Düsseldorf fahren?«
Brander schüttelte leicht den Kopf. »Daniel will nicht, dass ich komme.« Noch etwas, das er nicht verstand. »Er hat unsere Eltern angerufen. Sie fahren morgen zu ihm und kümmern sich um Julian.«
»Warum will er nicht, dass du kommst?«, wunderte sich Cecilia.
»Ich weiß es nicht.« Brander hatte das Gefühl, diesen Satz nicht mehr ertragen zu können. Er stellte das Glas auf den Couchtisch, wollte nach der Flasche greifen, als erneut das Telefon klingelte. Ohne aufs Display zu schauen, griff er nach dem Apparat, nahm das Gespräch entgegen.
»Daniel?«
»Ähm … nein … Polizeidirektion Tübingen, Sabrina Wilke. Andi, bist du das?«, hörte er die verdutzte Stimme der Kollegin aus der Zentrale.
»Ja, ‘tschuldige.« Brander atmete durch, versuchte, sich zu sammeln. Profi sein. »Was gibt’s?«
»Wir haben einen Toten. Der Mann wurde vermutlich zusammengeschlagen und verstarb kurz darauf im Krankenhaus«, erklärte ihm die Kollegin knapp.
Brander schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt? Er hatte andere Sorgen. »Ist es notwendig, dass ich rauskomme?«
»Du bist der leitende Beamte.«
Das wusste er selbst. Er seufzte leise. Er wollte jetzt nicht zum Dienst, wollte sich nicht um fremde Probleme kümmern, auch nicht um fremde Tote. Seine Familie brauchte ihn, sein Bruder, seine Schwägerin und sicher ganz besonders sein Neffe. Was mochte in dem Jungen jetzt vorgehen?
»Tut mir leid«, bedauerte Sabrina ihren Anruf. »Soll ich …?«
»Nein, schon gut.« Ein Mann war tot. Er hatte Bereitschaft und würde in dieser Nacht sowieso keinen Schlaf mehr finden. »Ich brauche ein paar Minuten. Ruf Peppi an. Die ist schneller da.«
Vielleicht war der Fall schnell erledigt, wenn nicht, konnte er versuchen, ihn am nächsten Morgen an einen Kollegen abzugeben. Es würde ihn jetzt zumindest von stundenlangen, sinnlosen Grübeleien abhalten. Im Moment gab es nichts, was er für seinen Bruder und dessen
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