Eisblume
abgesperrt, allerdings hat das nicht viel genützt, weil die Rettungsassistenten und der Notarzt ja hier voll im Einsatz waren. Hinzu kam, dass durch die Sirenen und Blaulichter die Leute neugierig wurden und munter hin und her gelaufen sind. Und zu allem Glück schneit es auch noch pausenlos. Spuren dürften vermutlich gegen null gehen.« Sie unterbrach kurz und blies heißen Atem in ihre kalten Hände. »Ist das kalt, verflucht.«
»Was wissen wir über den Toten?«
Peppi zog ein kleines Notizbuch aus der Jackentasche. »Der Tote hatte einen Pass bei sich. Er heißt Nael Vockerodt, ist zweiundzwanzig Jahre alt, farbig. Der Pass wurde in Kapstadt ausgestellt. Er hat eine zweckgebundene Aufenthaltsgenehmigung. Er ist Student.«
»War«, sagte Brander mehr zu sich als zu seiner Kollegin.
»Ja, er war Student. Scheiße. Kapstadt. Da kommt einer aus Kapstadt und wird in Tübingen erschlagen.«
»Hmm.« Er lehnte sich zurück und sah zum Fenster. Kleine Eisblumen hatten sich an den Scheiben des Einsatzwagens gebildet und funkelten im Schein der aufgestellten Strahler wie die Stars einer Varieté-Show. Glitzerten höhnisch kalt. Er schüttelte den Kopf. Was hatte er für absurde Gedanken?
»Hallo? Hörst du mir zu?«, hörte er Peppi fragen.
»Hm? Ja, ja, natürlich.« Er atmete tief durch, füllte seine Lungen mit Luft, um die Stricke zu lösen, die sich um seine Brust schnürten. Daniels Anruf ließ ihn nicht los. »Was hast du gerade gesagt?«
Peppi verzog kurz das Gesicht, dann wiederholte sie: »Ich sagte, dass wir noch nicht wissen, wo er gewohnt hat. Er hatte eine Aufenthaltsgenehmigung, das heißt, dass er nicht erst heute Nacht aus Kapstadt eingereist ist. Vermutlich lebte er hier irgendwo in Tübingen.«
»Vermutlich, ja«, murmelte er. Er musste sich zusammenreißen. Er war im Dienst. Ein Mann war zusammengeschlagen worden. Der Mann war gestorben. Vielleicht hatten sie eine Chance, den Täter noch in dieser Nacht zu finden.
»Was wissen wir über den oder die Täter?«
»Nichts.«
»Was heißt ›nichts‹? Jemand hat die Polizei gerufen. Hier sind Häuser, hier wohnen Menschen. Jemand muss doch etwas gesehen haben!«
»Das türkische Paar, das uns gerufen hat, sagte, dass sie den Mann erst gesehen haben, als er schon am Boden lag. Sie wohnen in einem der Häuser direkt hier vorne. Sie hatten etwas gehört, und als sie aus dem Fenster sahen, lag der Mann auf der Straße. Der Täter war bereits weg. Wir wissen nicht einmal, ob es nur einer war oder vielleicht zwei oder drei.«
»Wenn sie nichts gesehen haben, woher wissen sie dann, dass der Mann zusammengeschlagen wurde?«
Peppi zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Frag sie.«
»Vielleicht ist er nur gestürzt? War er betrunken?«
»Wir wissen es nicht. Die Kollegen sagen, er hatte Gesichtsverletzungen. Mehr kann ich dir im Moment auch nicht sagen. Wir fangen gerade an, die Nachbarschaft zu befragen. Ich hab schon Mann und Maus zusammentrommeln lassen. Ein paar Kollegen von der Schutzpolizei fahren die Gegend ab und nehmen die Personalien der Leute auf, die jetzt noch unterwegs sind. Werden nicht so viele sein bei dem Wetter und um diese Zeit. Jens ist im Büro und versucht herauszufinden, wo Vockerodt in Tübingen gewohnt hat. Die Staatsanwaltschaft haben wir informiert.«
Branders Blick wanderte wieder zum Fenster. Der Tatort war mit Planen überdacht worden, die Kollegen vom Erkennungsdienst versuchten, an Spuren zu retten, was zu retten war. Er meinte, dass die Zahl der Schaulustigen auf der Straße weniger geworden war. Wahrscheinlich beobachteten sie nun aus der Sicherheit ihrer warmen Zimmer die Arbeit der Polizei. Vielleicht waren sie auch wieder schlafen gegangen. Was sollten sie auch tun? Es betraf sie ja nicht. Brander bemerkte das Paradoxe seiner Gedanken. Zum einen verurteilte er sie als Schaulustige, zum anderen warf er ihnen mangelnde Anteilnahme vor. Was erwartete er? Wie sehr nahm er denn Anteil am Leben der Familie seines Bruders, dass ihn die Nachricht von Barbaras Selbstmordversuch so überraschte? Es hatte keinen Zweck. Er sollte die Ermittlungen Peppi übergeben und sofort nach Düsseldorf fahren. Er wandte sich wieder Peppi zu.
»Danke.«
»Wofür?«
»Dass du dich um alles gekümmert hast.«
Sie bedeutete ihm mit einer Geste, dass es nicht der Rede wert sei. »Ich mach den Job ja auch nicht erst seit gestern.«
»Wir müssen das Auswärtige Amt und die Südafrikanische Botschaft informieren«, fiel ihm ein. Peppi
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