Eisblume
nickte, machte sich eine Notiz.
Er starrte wieder einen Augenblick aus dem Fenster des Wagens. »Ich will noch mit diesem türkischen Paar reden, und dann lass uns ins Krankenhaus fahren und mit den Sanis sprechen. Vielleicht hat der Mann noch irgendetwas gesagt, bevor er starb.« Das eine denken, das andere tun. Er hatte das Gefühl, sich selbst zu beobachten, ohne zu verstehen, was er tat.
»Das sind keine Sanis, das sind Rettungsassistenten«, belehrte ihn Peppi.
»Kriminalhauptkommissar Andreas Brander«, stellte er sich kurz darauf den Eheleuten Achmed und Ebru Iscan vor.
Peppi hatte das türkische Paar, das noch nicht wieder in seine Wohnung zurückgekehrt war, zum Einsatzwagen gebracht. Sie mochten Mitte oder Ende vierzig sein, schätzte Brander, waren beide in lange dunkle Mäntel gehüllt. Ebru Iscan verbarg ihr Haar unter einem dunklen Kopftuch, während ihr Mann zum Schutz vor Kälte und Schnee eine Fellmütze aufgesetzt hatte. Er sah Brander mit einem so aufmerksamen Blick an, dass es den Kommissar kurz irritierte.
»Können Sie mir bitte genau erklären, was Sie gehört und gesehen haben?«, begann er.
»Ihre Kollegen sagen, der Mann ist gestorben?«, stellte Ebru Iscan eine Gegenfrage. Sie sprach ein fast akzentfreies Deutsch, und Brander wunderte sich, dass sie das Wort ergriff anstelle ihres Mannes. Er sah in ihr ebenmäßiges Gesicht, entdeckte braune, ernste Augen. Sie saß aufrecht vor ihm, die Hände ruhten sanft in ihrem Schoß. Eine würdevolle Schönheit ging von dieser Frau aus. Achmed sah konzentriert von seiner Frau wieder zu Brander.
»Ja, der Mann ist gestorben. Wenn Sie bitte …«
Sie ließ ihn nicht aussprechen, nickte mit teilnahmsvollem Blick und begann zu reden: »Achmed und ich saßen im Wohnzimmer. Wir wohnen dort.« Sie zeigte auf eines der Mehrfamilienhäuser, das auch Peppi ihm schon gezeigt hatte. »Wir haben einen Film angesehen. Und plötzlich hörte ich Stimmen. Laute Stimmen. Ich verstand nicht, was gesprochen wurde, aber es hörte sich nicht gut an. Die eine Stimme klang sehr wütend. Ich habe es meinem Mann gesagt. Aber dann war alles plötzlich wieder still. Ich bin dann trotzdem zum Fenster gegangen. Ich war irgendwie beunruhigt. Und da lag der Mann auf der Straße. Ich habe Achmed geholt und es ihm gezeigt. Wir haben Decken genommen und sind schnell zu dem Mann gelaufen, um ihm zu helfen.« Sie hatte ruhig gesprochen, keine Hektik, keine Aufregung in der Stimme. Sachlich hatte sie das Geschehen erklärt, als täte sie so etwas nicht zum ersten Mal.
»Herr Iscan, haben Sie auch etwas gehört?«, wandte sich Brander an ihren Mann. Achmed Iscan sah ihn schweigend an, wobei er die Stirn in Falten legte und leicht die Schultern hob. Sein Gesicht war faltig, zwei Narben zogen sich über die linke Schläfe. Vielleicht spricht er kein Deutsch, dachte Brander und sah wieder zur Ehefrau des Türken. Auf ihrem Gesicht entdeckte er den Ansatz eines nachsichtigen Lächelns.
»Achmed ist taubstumm«, erklärte sie. »Er hat nichts gehört.«
»Aber … sagten Sie nicht gerade, Sie hätten einen Film angesehen?«
»Mit Untertiteln«, erklärte sie, und das Lächeln wurde deutlicher, verschwand jedoch gleich wieder, als ihr Blick zum Fenster ging. Sie drehte sich zu ihrem Mann und erklärte ihm in einer Mischung aus Lippenbewegungen und Gebärdensprache, was sie dem Kommissar gesagt hatte.
»Waren es Männer- oder Frauenstimmen, die Sie gehört haben?«, fuhr Brander schließlich mit der Befragung fort.
»Männerstimmen. Laute Männerstimmen.«
»Wie viele?«
»Ich weiß nicht. Zwei, vielleicht drei. Ich bin nicht sicher. Es war nur ganz kurz.«
»Und als Sie aus dem Fenster sahen, haben Sie niemanden sonst auf der Straße gesehen?«
Sie überlegte, schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, da war nur der Mann. Ich habe auch ehrlich gesagt auf nichts anderes geachtet. Ich dachte nur, da liegt ein Mensch und braucht Hilfe.«
»Vielleicht waren der oder die Männer schon weiter weg? Haben Sie jemanden weglaufen sehen? Etwas weiter entfernt vielleicht?«
Wieder überlegte sie einen Augenblick lang. Brander sah in das konzentrierte Gesicht der Frau. Eine schöne Frau, ging es ihm, ohne dass er es wollte, durch den Kopf.
»Nein, wirklich. Ich habe sonst niemanden gesehen.«
»Und Ihr Mann?«
Sie übersetzte seine Frage für ihren Mann. Achmed Iscan sah zu Brander, verzog bedauernd das Gesicht, zeigte die offenen Handflächen und schüttelte den Kopf.
»Ich danke
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