Eisige Naehe
zuzufügen, geschweige denn, einen Mord zu begehen. Jetzt waren es gleich zwei auf einmal gewesen, und er hatte nichts oder zumindest nur wenig dabei empfunden. Keine Reue und auch nicht dieses berühmte schlechte Gewissen, das einen angeblich plagen sollte. Keine Alpträume, keine nächtlichen Schweißausbrüche, kein Gang zu einem Priester, um sich von der Last der Sünde zu befreien. Stattdessen fühlte er eine Art Stolz und Genugtuung, etwas getan zu haben, was sich nur die allerwenigsten trauten. Es war so unglaublich einfach gewesen, und für einen Moment, als er wieder im Auto saß, hatte ihn sogar ein nie gekanntes Glücksgefühl überkommen. Und das alles durfte er nur erleben, weil diese ganz besondere Frau, Sarah Schumann, ihn über eine Anzeige kontaktiert hatte. Sie hatte sein Leben verändert und ihm eine Richtung verliehen, die so ganz anders als in seiner Vorstellung gewesen war. Ein Leben, das aller Wahrscheinlichkeit nach so langweilig und eintönig wie das so vieler Menschen verlaufen wäre. Das Studium beenden, einen mehr oder minder gutbezahlten Job annehmen, eine Frau kennenlernen, heiraten, Kinder bekommen, abends nebeneinander vor dem Fernseher hocken und schweigend auf den Bildschirm starren, ein-, zwei- oder am Anfang auch dreimal in der Woche miteinander schlafen und das Leben zur unsäglichen Routine verkommen lassen. Das alles in einer endlosen Schleife bis zum bitteren Ende in vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren. Doch Hans Schmidt führte seit jenem Abend im Oktober 1984 ein sorgloses und ausgefülltes Leben, er hatte Geld und andere materielle Güter im Überfluss, er war körperlich und geistig topfit, alles passte, es gab nichts, worüber er sich Gedanken zu machen brauchte. Bis auf den ersten Fall hatte es sich in den folgenden Jahren ausschließlich um Zielpersonen gehandelt, die eine zwielichtige und kriminelle Rolle in der Gesellschaft spielten. In all der Zeit hatte es nur einen einzigen Auftrag gegeben, der ihm persönliche Probleme bereitet und bei dessen Ausführung er Skrupel verspürt hatte. Er hatte eine Frau liquidieren müssen, mit der ihn eine langjährige tiefe Freundschaft und eine lose sexuelle Beziehung verband. Es hatte ihm fast das Herz zerrissen, aber ihm war keine Wahl geblieben. Hätte er diesen Auftrag abgelehnt, hätte er wohl nie wieder einen weiteren erhalten. Niemand wusste von seiner Affäre mit Julianne Cummings, der Frau des ehemals zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, von den Massen schon lange vor der Wahl wie ein Heilsbringer gefeiert, dessen demokratischem Konkurrenten, wer immer es auch sein mochte, kaum eine Chance eingeräumt worden war. Cummings war in der Tat beeindruckend, geboren in Portland, Oregon, treues Mitglied einer einflussreichen Sekte, der schon seine Eltern und Großeltern angehörten, mit achtundzwanzig der jüngste Gouverneur aller Zeiten, mit Ende dreißig im Senat in Washington, mit Mitte vierzig höchst aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat. Er war ein charismatischer Mann, rhetorisch unschlagbar, auf jedes Argument hatte er ein Gegenargument - und wenn es ein Zitat aus der Bibel war. Was jedoch niemand außerhalb seines politischen Vertrautenkreises ahnte: Peter Cummings war verschlagen bis ins Mark.
Hans Schmidt war nach New York geflogen, um sich mit Julianne Cummings zu treffen, die ihn nur als Pierre Doux kannte. Er wusste noch, was sie am letzten Abend ihres Lebens getragen hatte, als sie ihm die Tür ihres Refugiums in Greenwich Village öffnete und ihn mit einem Kuss begrüßte. Ihre Augen strahlten wie immer, wenn sie sich sahen, was nicht sehr häufig vorkam. Sie trug ein kaum die Schenkel bedeckendes, enganliegendes weißes, transparentes Kleid, das der Phantasie nicht viel Spielraum ließ. Ihre fünfundvierzig Jahre sah man ihr nicht an, dank eiserner Disziplin stand ihr Körper dem einer Fünfundzwanzigjährigen in nichts nach. Lediglich ein paar winzige Fältchen um Augen und Mund verrieten dem aufmerksamen Betrachter, dass sie keine fünfundzwanzig, sondern vielleicht doch schon Mitte oder Ende dreißig war. Aber fünfundvierzig hätte kein Außenstehender vermutet. Normalerweise pflegte sie einen anderen Kleidungsstil, besonders, wenn sie an der Seite ihres Mannes repräsentieren musste, was gerade jetzt, in der anstehenden heißen Phase des Wahlkampfs, immer häufiger der Fall war. Sie verabscheute ihren Mann, aber sie sah keinen Ausweg aus dieser Ehe. Er hasste sie nicht
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