Eisige Naehe
Jahren verband und das jetzt noch fester zu werden schien. Und doch verfluchte er seit Marias Tod sein Leben. Er verfluchte sich und seine Herkunft, er verfluchte alles, sogar Gott. Nur Sarah nicht.
Er ließ die Bauarbeiten in Estoril einstellen und verkaufte das Haus am Meer ebenso wie seine Villa in Lissabon. Zusammen mit Sarah Schumann zog er im September nach Nizza, wo sie beide ein Haus besaßen. Auch dort hatte er einen geheimen Raum, in dem er sämtliche Waffen und Unterlagen unterbrachte. Vielleicht würde der Tag kommen, an dem er die Waffen wieder herausholte. Vielleicht würde aus Hans Schmidt wieder Pierre Doux, Henry Jones, Martin Sanchez oder Michail Petrow werden.
Er schwor sich, niemals wieder einen Fuß auf portugiesischen Boden zu setzen. Er würde ein neues Leben beginnen, doch der Schmerz würde bleiben, solange er lebte. Schmerz, Hass, Wut und Zorn. Maria war die einzige wahrhaft große Liebe in seinem Leben gewesen, und es gab niemanden, der sie jemals würde ersetzen können, auch nicht Sarah Schumann.
Für Lisa Santos und Sören Henning hatte schon bald wieder der normale Alltag begonnen. Einzig der Tod von Marion Harms riss sie aus dieser Routine heraus. Anfang Mai schlief sie friedlich ein, vollgepumpt mit Medikamenten und in den letzten Wochen ihres Dahinsiechens nicht mehr ansprechbar. Volker hatte die meiste Zeit bei ihr verbracht, zweiunddreißig Jahre Ehe konnte er nicht einfach ausblenden. Er hatte sie geliebt, und nun trauerte er. Nach ihrem Tod und ihrer Beerdigung nahm er sich zwei Monate Urlaub und flog ans andere Ende der Welt, nach Australien. Abschalten, nachdenken, sich besinnen und zur Ruhe kommen.
Lisa Santos besuchte wieder regelmäßig ihre Schwester im Pflegeheim, diese immer noch so hübsche Frau, die ein solch grausames Schicksal erlitten hatte. Vergewaltigt von mehreren Männern, fast zu Tode geprügelt und erst im letzten Augenblick gerettet. Doch es war zu spät gewesen, ihr Gehirn war zu lange ohne Sauerstoff gewesen.
Im Juli flogen Lisa Santos und Sören Henning nach Spanien, wo Lisas Wurzeln lagen. In dem wunderschönen Haus ihrer Eltern am Meer verbrachten sie vier traumhafte Wochen. Sie mussten Kraft tanken, denn irgendwann würden sie in die brutale Wirklichkeit zurückkehren. Daran dachten sie jedoch nicht, wenn sie abends auf der Terrasse saßen und auf das Meer blickten. Manchmal unterhielten sie sich über den unbekannten Mann, der ihnen das Leben gerettet hatte, ein Auftragsmörder, der zu ihrem Schutzengel geworden war. Sie würden nie begreifen, was in diesem Mann vorging, sie wussten nur, er war ein Mensch und doch ein Phantom, unbegreiflich und unfassbar. Sie würden nie erfahren, von wem die DNA stammte, die an so vielen Tatorten gefunden worden war, auch noch, nachdem der Innenminister vor die Mikrofone und Kameras getreten war, um zu bekunden, sie stamme von kontaminierten Wattestäbchen. Und sie unterhielten sich über Karl Albertz. Warum hatte er ihnen so viele Informationen zukommen lassen über die Strukturen seiner kriminellen Vereinigung? Warum hatte er so viel Persönliches preisgegeben? Warum wollte er, dass sie Friedmann und Müller töteten? Warum wollte er, dass Friedmann und Müller sie töteten? Hatte er Sarah Schumann wirklich geliebt, oder wollte er sie nur besitzen, diese schöne, charismatische Frau? Es gab viele Fragen zu Albertz, doch auf keine fanden sie eine befriedigende Antwort. Ihn würden sie nicht mehr fragen können. Sie kamen zu dem Schluss, dass er ein Spieler gewesen war, doch das Spiel selbst hatten sie nicht verstanden und würden es wohl nie verstehen.
Henning und Santos waren kaum noch in der Lage, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, weshalb sie sich in Zukunft nur noch ihrem eigentlichen Beruf, der Jagd nach Vermissten, Totschlägern und Mördern widmen wollten. Sofern man sie ließ. Doch erst würden sie sich erholen und nicht über die Zukunft nachdenken, die kam noch früh genug. Viel zu früh.
Nachwort
Manche, vielleicht sogar viele werden sich fragen, ob das, was sie gelesen haben, auch im wahren Leben vorkommt. Natürlich ist Eisige Nähe kein Sachbuch, sondern ein Roman. Allerdings habe ich wie in zahlreichen Büchern zuvor wahre Fälle und Begebenheiten einfließen lassen. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich eine bestimmte Szene, in der eine junge Zwangsprostituierte auf höchst brutale und grausame Weise misshandelt und ermordet wird, in dieser Form schildern soll. Doch die Szene ist
Weitere Kostenlose Bücher