Eisige Naehe
weniger, doch wenn sie sich der Öffentlichkeit zeigten, sah man ein auch nach zwanzig Jahren Ehe glückliches Paar mit drei wohlerzogenen Kindern. Peter Cummings' zutiefst verlogene Seite kam zu keiner Zeit zum Vorschein. Wie alle Politiker, die Schmidt kannte - und er kannte viele -, war Cummings ein verschlagenes und verkommenes Subjekt. Er ließ jeden beiseiteschaffen, der ihm nicht bedingungslos ergeben war. Im Laufe seiner Karriere hatte er mindestens zehn Personen aus dem Weg räumen lassen. Vier starben durch Selbstmord, vier bei Unfällen, zwei durch Krankheit. So lauteten die Meldungen. Die Wahrheit kannten nur ein paar wenige Eingeweihte. Wer nicht für Cummings war, war automatisch gegen ihn, und so etwas duldete er nicht. Schmidt hatte ihn ein paarmal getroffen, in seine kalten blauen Augen geblickt und sich jedes Mal gewünscht, jemand würde ihm den Auftrag erteilen, ihn zu liquidieren. Doch dann kam alles ganz anders. Sein Auftrag lautete nicht Peter Cummings, sondern dessen Frau Julianne. Warum ausgerechnet sie, wusste er nicht, anfangs hatte er Peter Cummings hinter der Anweisung vermutet. Es hätte seine Popularität sicher noch verstärkt, wenn er ein Jahr vor der Wahl den trauernden Witwer hätte spielen dürfen und er das Mitgefühl von Millionen Amerikanern erfahren hätte. Andererseits traute Schmidt Cummings vieles zu, eine derartige Perfidität jedoch nicht. Nach längerem Überlegen war Schmidt sicher, dass die Order von allerhöchster Stelle kam, von dort, wo noch mächtigere Männer und Frauen als der Präsident der USA agierten. Die wahren Machthaber, die Strippenzieher, die die Regeln von Politik und Wirtschaft bestimmten. Nach der Kontaktaufnahme hatte Schmidt zwei Wochen Zeit, Julianne Cummings zu töten. Das Wo und Wie und den genauen Zeitpunkt überließ man Schmidt, das hatte er sich ausbedungen. Er hatte außerdem gefordert, dass Julianne Cummings innerhalb dieser zwei Wochen zu keiner Minute überwacht werden dürfe, er würde es kontrollieren, und sollte er auch nur einen Anhaltspunkt dafür finden, würde er die Aktion sofort abbrechen, denn zum einen wollte er seine Anonymität bewahren, und zum anderen wusste er, wie sehr die Nachrichtendienste seine Arbeit schätzten und auch in Zukunft benötigen würden. Er würde Bescheid geben, wann und wo ihre Leiche zu finden sei. Per E-Mail bekam er die Zusicherung, dass Julianne Cummings nicht überwacht werden würde.
Es war das erste und auch einzige Mal, wo er beinahe alles hingeschmissen hätte, aber er fühlte sich dem von ihm selbst verfassten Ehrenkodex verpflichtet, der es ihm verbot, einen einmal angenommenen Auftrag nicht zu erfüllen.
Erst nachdem er sie auf schnelle und schmerzlose Weise getötet und die Informationen, wo ihre Leiche zu finden sei, übermittelt hatte, erfuhr er während seines Rückflugs nach Lissabon, was wirklich hinter diesem Auftrag gesteckt hatte: Der Tatort war kurz nach dem Auffinden der Toten so präpariert worden, dass der Verdacht automatisch auf Peter Cummings fiel. Er hatte kein Alibi, nichts, das ihn entlastete. Er würde nie Präsident der USA werden, beim Prozess fehlten aber wichtige Beweisstücke, und so wurde Cummings aus Mangel an Beweisen freigesprochen, doch der Makel des möglichen Mörders an seiner Frau blieb. Sosehr er auch seine Unschuld beteuerte, es half ihm nichts. Nach dem Freispruch verkroch er sich wie ein geprügelter Hund in die Karibik, aber es dauerte nicht lange, bis er sich von seinem Schock erholt hatte und es sich in seinem selbstgewählten Exil mit seinem beträchtlichen Vermögen gutgehen ließ. Doch was man gewollt hatte, war erreicht worden: Cummings war ein für alle Mal von der politischen Bildfläche verschwunden. Dafür hatte seine Frau, Schmidts Freundin, ihr Leben lassen müssen.
Julianne Cummings war Vergangenheit, doch jene Frau, die ihn vor beinahe fünfundzwanzig Jahren angeheuert hatte, lebte noch. Sarah Schumann war und blieb die Einzige, die jemals Schmidts wahres Gesicht als Auftragskiller gesehen hatte, auch wenn er dieses Gesicht permanent veränderte. Mit wenigen Handgriffen gelang es ihm, so auszusehen, dass niemand, nicht einmal seine engsten Bekannten (wahre Freunde hatte er keine, auch wenn er einigen das Gefühl gab, ihr Freund zu sein) ihn jemals hinter einer seiner vielen Masken erkannt hätten. Mal sah er wie ein alter Mann aus, mal trug er eine dicke Brille und einen Schnauzer, mal einen Vollbart, mal eine Glatze, mal hatte er
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