Eisige Umarmung (German Edition)
Rang eingenommen hätte, hätte er spätestens jetzt über dem Wolf gestanden.
Tai fuhr sich mit der Hand durch die Haare und wandte sich an Brenna. „Kann ich dich kurz sprechen wegen –“
„Nein.“ Sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Ich werde dich nicht zum Ball an deiner Uni begleiten. Du bist mir zu jung und zu blöd.“
Tai schluckte. „Woher wusstest du, was ich fragen wollte?“
„Vielleicht bin ich ja eine Mediale“, kam die düstere Antwort. „Das Gerücht geht doch sowieso schon überall um.“
Rote Flecken zeigten sich auf Tais Wangen. „Ich hab allen gesagt, sie sollten nicht solchen Scheiß erzählen.“
Judd hörte das zum ersten Mal, er hätte nie erwartet, dass sie Brenna auf eine so gehässige Weise zu verletzen versuchten. Die Wölfe waren zwar üble Feinde, aber sie schützten ihre eigenen Leute mit Zähnen und Klauen und hatten nach der Rettung geschlossen hinter Brenna gestanden.
Judd sah Tai an. „Du solltest jetzt lieber gehen.“
Der junge Wolf widersprach nicht, sondern entfernte sich, so schnell ihn seine Beine trugen.
„Wissen Sie, was das Schlimmste daran ist?“ Judd hatte seine Aufmerksamkeit ganz den sich entfernenden Schritten gewidmet und wandte sich nun wieder Brenna zu.
„Nun?“
„Es ist die Wahrheit.“ Sie richtete den blau und braun gezackten Blick auf ihn. „Ich bin wirklich anders. Ich sehe Dinge mit diesen verfluchten Augen, die er mir gegeben hat. Fürchterliche Dinge.“
„Das ist nur der Widerhall dessen, was Ihnen angetan worden ist.“ Ein Psychopath mit großen Kräften war in ihren Verstand eingedrungen, hatte ihr tief im Innern Gewalt angetan. Es war nicht erstaunlich, dass dieses Erlebnis Narben in ihrer Psyche hinterlassen hatte.
„Das hat Sascha auch gesagt. Aber ich sehe den Tod –“
In diesem Augenblick schnitt ihr ein Schrei das Wort ab.
Beide rannten bereits, noch bevor er ganz verklungen war. Nach etwa hundert Metern gesellten sich in einem zweiten Tunnel Indigo und ein paar andere zu ihnen. An einer Biegung kam ihnen Andrew entgegen, hielt Brenna am Oberarm fest und hob gleichzeitig die Hand. Sie blieben stehen.
„Indigo – ein Toter.“ Die Worte kamen wie Pistolenschüsse aus Andrews Mund. „Tunnel sechs nordöstlich, Raum vierzig.“
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, wand sich Brenna aus dem Griff ihres Bruders und lief ohne ein Wort los. Judd hatte kurz den Zorn in ihrem Gesicht aufflackern sehen und folgte ihr als Erster. Indigo und ein sehr aufgebrachter Andrew waren dicht hinter ihm. Die meisten Medialen wären sofort zurückgefallen, aber Judd war anders, deshalb war er wie geschaffen gewesen für das Leben im Medialnet. Brenna rannte wie der Blitz, bewegte sich unglaublich schnell für jemanden, der noch vor wenigen Monaten bettlägerig gewesen war. Als er sie erreichte, war sie schon fast bei Tunnel sechs. „Halten Sie an“, befahl er, trotz des Tempos keineswegs außer Atem. „Sie sollten sich das nicht ansehen.“
„Doch, das muss ich“, sagte sie nach Luft schnappend.
Im Endspurt kam Andrew heran, schlang ihr von hinten den Arm um die Taille und hob sie hoch. „Ganz ruhig, Bren.“
Indigo rannte vorbei, lange Beine blitzten auf, dunkles Haar flatterte.
Brenna wand sich wild in Andrews Armen. Judd konnte nicht zulassen, dass sie sich verletzte. „Lassen Sie Ihre Schwester los, dann wird sie sich schon beruhigen.“
Sofort hörte Brenna auf, sich zu wehren, überrascht und schwer atmend blickte sie auf. Andrew ließ sich die Einmischung nicht gefallen. „Ich kann mich allein um meine Schwester kümmern, du Medialer.“ Das letzte Wort klang wie ein Schimpfwort.
„Indem du mich einsperrst?“, fragte Brenna in rasiermesserscharfem Ton. „Ich lasse mich nicht mehr einsperren, Drew, und ich schwöre dir, ich werde mir die Finger blutig kratzen, wenn du es tust.“ Allein die Vorstellung war schrecklich, vor allem wenn man sie in dem Zustand gesehen hatte, in dem sie gefunden worden war.
Andrew wurde bleich, aber er biss die Zähne zusammen. „Das wäre aber das Beste für dich.“
„Vielleicht aber auch nicht“, sagte Judd und zuckte nicht zurück, als Andrews wütender Blick ihn traf. Für den Soldat der SnowDancer-Wölfe waren alle Medialen für die Qualen seiner Schwester verantwortlich, und wenn Judd einer auf Gefühlen beruhenden Logik folgte, konnte er diese Schlussfolgerung auch verstehen. Aber die Gefühle machten Andrew auch blind. „Sie kann unmöglich den Rest
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