Eisige Umarmung (German Edition)
ihres Lebens in Ketten verbringen.“
„Was zum Teufel wissen Sie denn schon?“, knurrte Andrew. „Sie kümmern sich ja nicht einmal um Ihre eigenen Leute.“
„Scheiße noch mal, er weiß wahrscheinlich mehr als du!“
„Bren“, sagte Andrew drohend.
„Halt die Klappe, Drew. Ich bin kein kleines Kind mehr.“ In ihrer Stimme schwang etwas Dunkles mit, verlorene Unschuld und das Wissen um das Böse in der Welt. „Hast du dich je gefragt, was Judd während der Heilsitzungen für mich getan hat? Hat es dich je gekümmert, was es ihn gekostet hat? Nein, natürlich nicht, denn du weißt ja immer alles.“
Sie holte zitternd Luft. „Weißt du was? Du hast überhaupt keine Ahnung! Du bist nicht dort gewesen, wo ich war. Nicht einmal in der Nähe eines solchen Ortes. Lass. Mich. Los.“ Diese Worte klangen nicht mehr zornig, sondern ruhig. Das war normal bei Medialen. Aber ganz und gar nicht normal bei Gestaltwandlern. Und schon gar nicht bei Brenna. Judd war besorgt.
Andrew schüttelte den Kopf. „Es ist mir zum Teufel noch mal egal, was du sagst, kleine Schwester, aber du solltest dir das wirklich nicht ansehen.“
„Dann tut es mir leid, Drew.“ Nur einen Bruchteil einer Sekunde später fuhr Brenna mit ihren Krallen über Andrews Arme, sodass er sie erschreckt losließ. Fast schon bevor ihre Füße den Boden berührten, war sie auf und davon.
„Mein Gott“, flüsterte Andrew und starrte ihr nach. „Ich kann es einfach nicht glauben …“ Er blickte auf seine blutigen Unterarme. „Brenna hat doch noch nie jemandem etwas angetan.“
„Sie ist nicht mehr die Brenna, die Sie kannten“, sagte Judd. „Was Enrique ihr angetan hat, hat sie völlig verändert, wie sehr, weiß sie selbst nicht.“ Er rannte Brenna hinterher, ohne Andrews Antwort abzuwarten – er musste bei ihr sein, um die negativen Auswirkungen des Anblicks einer Leiche abzuwenden. Aber er verstand immer noch nicht, warum sie sie sich unbedingt ansehen musste.
Er kam gerade rechtzeitig, als sie an einem überrumpelten Wachposten vorbei in den kleinen Raum stürmte, der von Tunnel sechs abging. Sie hielt so abrupt an, dass er fast gegen sie gelaufen wäre. Er folgte ihrem Blick und sah die Leiche eines unbekannten SnowDancer-Wolfes auf dem Boden. Auf dem Gesicht und dem nackten Körper waren die Spuren zahlreicher Schläge zu sehen, die verletzte Haut hatte sich bereits verfärbt. Aber Judd wusste, dass Brenna aus einem anderen Grund wie angewurzelt stehen geblieben war.
Es waren die Schnitte.
Der Gestaltwandler war sorgfältig mit einem Messer bearbeitet worden. Erst der letzte Schnitt war tödlich gewesen. Er hatte die Halsschlagader durchtrennt. Aber etwas passte nicht ins Bild. „Wo ist das Blut?“, fragte Judd Indigo, die an der anderen Seite der Leiche kauerte, die Soldaten hatten hinter ihrer Vorgesetzten Aufstellung genommen.
Die Offizierin verzog das Gesicht, als sie Brenna sah, antwortete aber auf Judds Frage. „Er ist schon länger tot. Man hat die Leiche nur hier abgeladen.“
„Der Raum liegt abseits.“ Einer der Soldaten, ein hoch aufgeschossener Mann namens Dieter, meldete sich zu Wort. „Wenn man es richtig anstellt, kommt man leicht ungesehen rein – ein intelligenter Täter, er hatte den Ort vielleicht schon vorher im Auge.“
Brenna holte tief Luft, sagte aber kein Wort.
Indigos Blick wurde noch finsterer. „Bringen Sie Brenna hier raus, zum Teufel noch mal.“
Judd folgte nicht gerne Befehlen, aber diesmal war er mit Indigo einer Meinung. „Gehen wir“, sagte er zu der Frau, die ihm den Rücken zukehrte.
„Ich habe es gesehen“, flüsterte sie leise.
Indigo stand mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht auf. „Wie bitte?“
Brenna fing an zu zittern. „Ich habe es gesehen.“ Wieder ein schwaches Flüstern, dann lauter: „Ich habe es gesehen.“ Und schließlich ein Schrei: „Ich habe es gesehen!“
Judd hatte genügend Zeit mit Brenna verbracht, um zu wissen, dass sie es nicht ertragen konnte, vor aller Augen die Beherrschung zu verlieren. Sie war eine sehr stolze Wölfin. Also tat er das Einzige, was ihren hysterischen Anfall durchbrechen konnte: Er stellte sich vor sie, um ihr die Sicht auf die Leiche zu nehmen, und benutzte ihre eigenen Gefühle als Waffe. Darin hatten es die Medialen zur Perfektion gebracht. „Sie machen sich selbst zum Narren.“
Die eiskalten Worte trafen Brenna wie ein Schlag ins Gesicht. „Wie bitte?“ Sie ließ die Hand sinken, mit der sie ihn wegstoßen
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