Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
sollen. Ich habe die Polizei verständigt und den Notruf gewählt. Ich bin zu ihrem Haus gefahren.«
»Du hast alles in deiner Macht Stehende getan.«
»Sie hatte zwei Söhne, die sie beide im Stich ließen. Sie wurde betrogen und wandte sich hilfesuchend an mich, und dann wurde sie ermordet. Aber wenigstens besitzen ihre beiden Söhne jetzt ihr Geld, also sind zumindest zwei Leute zufrieden.«
»Das bist doch nicht du, die da redet, Frieda. Zu einem Patienten würdest du das nicht sagen.«
»Wenn ich zu meinen Patienten sagen würde, was ich zu mir selbst sage, würden die meisten von ihnen auf der Stelle gehen und sich umbringen.«
»Zu Josef sagst du das auch nicht, wenn er sich mal wieder die Schuld an Mary Ortons Tod gibt.«
»Nein.« Ihre Miene wurde weicher. »Zu Josef sage ich, dass er getan hat, was er konnte, und ich ihm hätte zuhören sollen.«
»Für dich gilt also eine andere Regel als für alle anderen.«
»Ja.«
»Warum?«
»Wie meinst du das?«
»Was du durchgemacht hast, würde jedem zusetzen. Aber das Schlimmste ist für dich gar nicht die Tatsache, dass jemand versucht hat, dich zu erstechen, und du beinahe gestorben wärst, stimmt’s? Wenn du über dieses schreckliche Erlebnis sprichst – was selten genug vorkommt –, dann geht es dabei um Mary Orton und Janet Ferris oder sogar Beth Kersey, die dich töten wollte und es auch beinahe geschafft hätte. Nicht zu vergessen Alan Dekker und Kathy Ripon. All die Leute, die gestorben sind. Mir fällt auf, dass dir das alles … wie soll ich es ausdrücken? Dass dir das alles viel zu nahe geht und du es zu persönlich nimmst.« Sandy blieb stehen und sah in Friedas grimmig funkelnde Augen. »Was denkst du gerade?«
»Warte«, sagte sie. Sie wandte sich von ihm ab und blickte auf den Park hinaus.
Als sie sich wieder umdrehte, war ihr Gesicht bleicher als je zuvor, und ihre Augen leuchteten noch intensiver.
»Ich muss dir etwas sagen.«
»Nur zu.«
»Ich habe das noch nie jemandem erzählt.« Sie holte tief Luft. »Als ich fünfzehn war, hat mein Vater sich umgebracht.« Mit einer Handbewegung hielt sie Sandy davon ab, etwas zu sagen oder näher zu kommen. »Er hat sich auf dem Dachboden unseres Hauses erhängt.«
»Das tut mir leid, Frieda.«
»Ich habe ihn gefunden. Ich habe ihn losgeschnitten, aber natürlich war er schon tot. Er war sehr depressiv gewesen, aber ich bildete mir trotzdem ein, ihn retten zu können. Ich dachte, ich könnte ihm helfen. Noch heute träume ich, dass ich rechtzeitig komme. Immer und immer wieder.« Sie starrte Sandy mit ihren großen Augen an. »Aber ich bin nicht rechtzeitig gekommen«, sagte sie. »Bei ihm nicht, und bei Mary Orton auch nicht. Dasselbe gilt für Janet Ferris, Kathy Ripon und den armen Alan. All diese Leute haben mir vertraut, und ich habe sie im Stich gelassen.«
»Nein, mein Liebling.«
»Es kommt mir vor, als wäre ich mit einem Fluch belegt. Du solltest dich von mir fernhalten.«
»Das wirst du nicht schaffen.«
»Oh.« Einen Moment hatte Sandy den Eindruck, sie würde gleich in Tränen ausbrechen. Stattdessen trat sie vor und legte ihm eine Hand an die Wange. »Was sollen wir tun, Sandy?«
»Wir müssen uns Zeit geben.«
»Müssen wir das?«
»Ja.«
»Du gehst also trotzdem wieder in die Staaten zurück, und ich bleibe hier.«
»Ja. Aber es wird nicht mehr so sein wie vorher.«
»Warum nicht?«
»Wegen Waterlow Park. Wegen unserer nächtlichen Wanderung am Fluss. Weil du mir gezeigt hast, wie Wasser unterirdisch weiterfließen kann, ohne zu versickern und zu verschwinden. Weil ich dich kenne.«
»Ja«, antwortete Frieda ganz leise, »du kennst mich.«
»Hallo!«
Sandy und Frieda wandten beide den Kopf. Neben Frieda stand ein kleines Mädchen, das mit beiden Händen ein Narzissensträußchen umklammerte. Sie hielt die Blumen Frieda hin, indem sie die kleinen Ärmchen zu ihr hinaufstreckte und sich zusätzlich auf die Zehenspitzen stellte. Frieda nahm den Strauß entgegen.
»Vielen Dank«, sagte sie. Obwohl ihr die Bewegung wehtat, beugte sie sich zu dem Kind hinunter. »Sie sind sehr schön.«
»Deine Zeit war noch nicht gekommen«, sagte das kleine Mädchen.
»Was?«, fragte Frieda. »Was meinst du damit?«
»Deine Zeit war noch nicht gekommen.« Das kleine Mädchen runzelte vor Konzentration die Stirn, als stünde sie in der Schule vor ihrer Klasse. »Deine. Zeit. War. Noch. Nicht. Gekommen.«
»Was willst du mir damit sagen?«
Die Kleine starrte sie ratlos an.
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