Eisiger Schatten
trat etwas näher an den Eismenschen heran.
„Vorsicht!“, warnte Herzog Asagorn. „Sie formen manchmal aus ihren Körpern Waffen aus. Und niemand von uns weiß, was für weitete Kräfte dieses Geschöpf noch hat.“
„Ich werde achtgeben“, versprach Daron.
Der Eismensch hob den rechten Arm, und eine Hand mit Fingern bildete sich. Zuerst waren es sieben, dann sechs und schließlich nur noch drei.
„Er macht dir Zeichen!“, sandte Sarwen einen Gedanken an ihren Zwillingsbruder.
„Möglich. Aber leider weiß niemand von uns, was sie bedeuten.“
„In der Alten Zeit von Athranor soll es möglich gewesen sein, den Sinn von Zeichen durch magische Konzentration zu erfassen.“
„Diese Kunst ist aber leider seit langem vergessen.“
„Wird Zeit, dass sie wiederbelebt wird, würde ich sagen.“
Daron kam noch einen Schritt näher.
Der Eismensch formte auch am Ende seines zweiten Arms eine Hand und eine ständig wechselnde Anzahl von Fingern, die mal daraus hervorwuchsen und dann wieder wegschmolzen. Manchmal bildeten sie auch Dreiecke, Vierecke, Kreise oder schlangenförmige Linien.
Gleichzeitig drängten sich Daron plötzlich geistige Bilder auf, von denen er nicht wusste, ob sie durch seine eigenen Gedanken entstanden oder vielleicht von diesem fremden Wesen stammten.
Er sah die Gesichter von Sandrilas und Lirandil. Im Hinter ihnen befand sich eine Stadt aus purem Eis. Die Eisfestung, erkannte Daron. Er selbst hatte sie zwar noch nie gesehen, aber er hatte oft genug den Erzählungen der Elbenkapitäne gelauscht, wenn sie am Hof des Elbenkönigs davon berichteten, wie sie die Küste des Eislandes entlangsegelt waren und die eisigen Zinnen dieses geheimnisvollen Bauwerks bewundert hatten.
Im Hintergrund war noch etwas zu sehen, was Daron zuerst für einen von Eis und Schnee bedeckten Berg hielt. Dann aber erkannte er, dass sich der Berg bewegte, und er begriff, was es wirklich war. Es musste ein Eis-Leviathan sein, ein ausgewachsenes Exemplar und nicht so ein kleiner Wurm wie jener, der nach Rarax' Fuß geschnappt hatte.
Dann waren die Gedankenbilder auf einmal fort.
„Na los, versuch es!“, ermutigte Sarwen ihren Bruder. Daron hatte sich ihr gedanklich geöffnet, und so wusste sie bestens Bescheid. „Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund scheint dieses Wesen zu glauben, dass es sich an dich wenden kann!“
Daron wusste genau, was Sarwen meinte. Also zögerte er nicht länger und sandte einen sehr konzentrierten Gedanken.
Der Eismensch machte daraufhin zwei schnelle Schritte auf Daron zu. Anstatt Finger bildeten sich an seinen Händen auf einmal schwertähnliche Klingen.
Bläuliche Blitze umflorten die Eisklingen, die das Wesen auf Daron richtete.
Da griff Thamandor ein. Ehe der Eismensch Daron erreichen konnte, schoss ein Feuerstrahl aus dem Flammenspeer, und innerhalb eines Augenblicks war der Eismensch zu einer Wasserlache zerschmolzen. Er bildete auf dem Pflaster des Burghofs eine Pfütze, auf der bläuliche Blitze tanzten. Dann versickerte das Wasser zwischen den Fugen und verschwand in den Ritzen.
„Er wollte dich angreifen!“, sagte Thamandor entschuldigend.
„Vielleicht“, murmelte Daron. Die Gedankenbilder der Eismenschen standen ihm wieder vor dem inneren Auge, und er fragte sich, was sie wohl zu bedeuten hatte.
„Ganz bestimmt war das ein Angriff, Daron! Weshalb sollte diese Bestie wohl sonst mit zwei schwertlangen Eisklingen auf dich losgehen?“
Herzog Isidorn von Nordbergen, der zusammen mit Asagorn und Mirgamir ebenfalls im Burghof stand, trat vor und besah sich die Stelle, an der sich der Eismensch eben noch befunden hatte. „Sie können durchaus gefährlich werden“, meinte er. „In der Vergangenheit hat es immer wieder mal auch Kämpfe mit ihnen gegeben, aber sie drangen nie weit genug vor, um wirklich zu einer Bedrohung zu werden, weil sie sich offenbar nicht allzu weit vom Eis entfernen können.“
„Ja, das kostet sie vermutlich sehr viel Kraft“, ergänzte der Magier Goladorn. „Aber diesmal kommt das Eis ja mit ihnen.“
„Jedenfalls wissen wir jetzt, auf welche Weise sie Mauern zu überwinden vermögen“, meinte Isidorn. Er streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen über die dicke Rußschicht, die sich am Mauerwerk gebildet hatte, als Thamandor seinen Flammenspeer einsetzte. Dann wandte er sich an den Waffenmeister und sagte: „Es hatte seinen Grund, dass die Bürger von Elbenhaven Euch und Eure Werkstatt mit all diesen
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