Eisiges Herz
gefallen, und John Cardinal trägt einen schweren Ledermantel mit Webpelzfutter. Nach der Farbenpracht im Oktober ist der November grau und trüb. In einer Woche wird Cardinal seinen Daunenparka brauchen, sein Eskimokostüm, wie Catherine gern gescherzt hatte.
Cardinal kommt gerade von einem Morgenspaziergang über den Wanderweg zurück, der sich hinter seinem Haus durch die Hügel schlängelt, ein Spaziergang, den er zahllose Male mit seiner Frau gemacht hat. Delorme hat ihn am frühen Morgen angerufen und sich zum wiederholten Mal dafür entschuldigt, dass sie, was Catherines Tod anging, voreilige Schlüsse gezogen hatte. Außerdem hat sie ihm erzählt, dass Melanie Greene inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen ist und wieder bei ihrer Mutter wohnt. Ihre neue Therapeutin ist optimistisch.
Mr. und Mrs. Walcott, die ihren schrecklichen Hund ausführen, kommen ihm auf der anderen Straßenseite entgegen.Als sie Cardinal sehen, hören sie aus Respekt vor seiner Trauer auf, miteinander zu streiten.
»Es soll Schnee geben«, sagt Mrs. Walcott.
Cardinal winkt ihnen zum Gruß zu und geht zu seinem Haus hinauf. Der Duft nach Holzfeuer und Speck mischt sich mit dem Geruch nach Schnee. Seit einer Woche liegt der Schnee schon in der Luft. Er kommt spät in diesem Jahr.
Er geht ins Haus und hängt seinen Mantel an die Garderobe. Während er mit den Schnürsenkeln an seinen Stiefeln kämpft, klingelt das Telefon, und er humpelt mit einem offenen Stiefel am Fuß in die Küche, um den Hörer abzunehmen. Es ist die einzige Person, mit der er im Moment reden möchte.
»Kelly, wie geht es dir? Wieso bist du schon so früh auf den Beinen?«
»Ich hab gestern Abend deine Nachricht erhalten, aber es war schon zu spät, um zurückzurufen.«
Cardinal streift sich den Stiefel vom Fuß und nimmt das Telefon mit ins Wohnzimmer. Die Verbindung ist schlecht, es knistert und knackt in der Leitung, aber er setzt sich in den Sessel und berichtet seiner Tochter, dass die Kaution für Frederick Bell so hoch angesetzt wurde, dass er bis zu seinem Mordprozess nicht aus dem Gefängnis kommen wird.
Einen Augenblick später hört Cardinal seine Tochter weinen. Herzzerreißendes Schluchzen dringt durch die zunehmend schlechter werdende Leitung nach New York. Kelly kann sich immer noch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass ihre Mutter nicht durch die eigene, sondern durch die Hand eines anderen ums Leben gebracht wurde. So oder so ist es schwer, sich damit abzufinden, dass sie tot ist, und Cardinal wünscht, Kelly wäre bei ihm und er könnte sie in den Arm nehmen und trösten, ihr sagen, dass alles gut ist, auch wenn es das niemals sein wird.
»Kelly?«
Das Schluchzen hat aufgehört, aber auch das Knistern und Knacken.
»Kelly?«
Die Leitung ist tot.
Als Cardinal versucht, seine Tochter zurückzurufen, erhält er nur ein Besetztzeichen.
Draußen hat es angefangen zu schneien, winzige Flöckchen, wie Schneeregen. Wenn sie noch lebte, würde Catherine sich ihre Kamera umhängen und die Stiefel anziehen. Beim ersten Schnee war sie immer nach draußen gegangen, um zu fotografieren, auch wenn die Aufnahmen ihrer Meinung nach zu »kalendermäßig« waren. Cardinal hört ein Rascheln auf dem Dach. Das Telefon immer noch in der Hand, geht er zur Hintertür, macht sie auf und überrascht ein Eichhörnchen dabei, wie es gerade die Isolierung der Klimaanlagenleitung anknabbert.
»Hau ab«, sagt Cardinal, doch das Eichhörnchen schaut ihn nur mit einem glänzenden schwarzen Auge an. Schneeflocken schmelzen auf seinen Ohren und auf seinem Schwanz.
Als Cardinal ihm mit dem erhobenen Telefon droht, huscht es davon. Ein dunkler Schatten zwischen den Blättern am Boden, dann ist alles still. Oder beinahe. Ein sanfter Wind geht durch die kahlen Birken, und es knistert ganz leise, wenn die Schneeflocken auf das nasse Laub fallen.
Das Telefon in seiner Hand klingelt erneut. Cardinal meldet sich, und diesmal ist die Verbindung nach New York besser.
Dank
M ein herzlicher Dank gilt Greg Dawson vom Centre of Forensic Sciences für detaillierte Informationen über die Behandlung von verdächtigen Schriftdokumenten.
Außerdem möchte ich mich noch einmal bei Staff Sergeant (a. D.) Rick Sapinski von der Polizei North Bay bedanken für Informationen über polizeiliche Vorgehensweisen. Sollten mir dennoch Fehler unterlaufen sein, dann übernehme ich die Verantwortung dafür.
Im Knaur Taschenbuch Verlag sind bereits
folgende Bücher des Autors
Weitere Kostenlose Bücher