Eisiges Herz
karierten Schal um den Hals und stopfte die Enden in ihre Jacke. »Ist es wichtig? Ich dachte, du müsstest wieder zur Arbeit.«
»Muss ich auch. Ich bin nur neugierig.«
»Also, ich werde lange vor dir wieder zu Hause sein.« Sie zog ihre Haare aus dem Schal heraus und schüttelte den Kopf. Cardinal roch den Duft ihres Shampoos, etwas, das entfernt an Mandeln erinnerte. Catherine setzte sich auf die Bank neben der Haustür und öffnete ihre Kameratasche. »Der Splitfield-Filter. Ich wusste doch, dass ich was vergessen hatte.«
Sie verschwand kurz im Keller, kam mit dem Filter zurück, steckte ihn in die Kameratasche. Cardinal hatte keine Ahnung, was ein Splitfield-Filter sein könnte.
»Gehst du wieder ans Government Dock?« Im Frühjahr, als das Eis aufbrach, hatte Catherine eine Fotoserie am Ufer des Lake Nipissing geschossen. Riesige weiße Eisblöcke, die sich übereinanderschoben wie tektonische Platten.
»Die Serie ist doch längst fertig«, sagte Catherine stirnrunzelnd. Sie befestigte ein kleines, zusammenklappbares Stativ an ihrer Kameratasche. »Wieso stellst du mir so viele Fragen?«
»Manche Leute machen Fotos, andere stellen Fragen.«
»Ich wünschte, du würdest mich nicht so löchern. Du weißt doch, dass ich nicht gern im Voraus über meine Projekte rede.«
»Manchmal schon.«
»Diesmal nicht.« Sie stand auf und hängte sich die schwere Tasche über die Schulter.
»Was für eine herrliche Nacht«, sagte Cardinal, als sie vor dem Haus standen. Er betrachtete die Sterne, die im hellen Mondschein schwach zu erkennen waren. Die Luft duftete nach Kiefern und Laub. Auch Catherine liebte den Herbst ganz besonders, aber im Moment war sie mit anderen Dingen beschäftigt. Sie stieg in ihren Wagen, einen braunen PT Cruiser, den sie sich vor einigen Jahren gebraucht gekauft hatte, ließ den Motor an und fuhr los.
Cardinal folgte ihr in seinem Camry über die dunkle, gewundene Straße in Richtung Stadt. Kurz vor der Ampel am Highway 11 betätigte Catherine den Blinker und ordnete sich links ein, während Cardinal geradeaus über die Kreuzung und dann die Sumner Street hinunter zum Revier fuhr.
Catherine war also unterwegs zum östlichen Stadtrand, und Cardinal fragte sich flüchtig, wohin sie wollte. Aber erwar immer froh, wenn sie sich in ihre Arbeit stürzte, und außerdem nahm sie regelmäßig ihre Medikamente. Es war jetzt ein Jahr her, seit man sie aus der Psychiatrie entlassen hatte. Letztes Mal war sie schon fast zwei Jahre draußen gewesen, dann hatte sie einen manischen Schub gehabt und musste wieder für drei Monate in die Klinik. Aber solange sie ihre Medikamente nahm, machte Cardinal sich keine allzu großen Sorgen.
Es war ein Dienstagabend, und in der Verbrecherwelt herrschte einigermaßen Ruhe. Cardinal verbrachte mehrere Stunden damit, liegengebliebenen Papierkram zu erledigen. Erst kürzlich waren wie jedes Jahr sämtliche Teppichböden gereinigt worden, und es roch im ganzen Gebäude nach Putzmitteln und feuchtem Teppich.
Der einzige Kollege, der außer Cardinal Spätschicht schob, war Ian McLeod, und selbst McLeod, tagsüber das Großmaul des Reviers, war zu dieser späten Stunde vergleichsweise still und ernst.
Cardinal war gerade dabei, eine Akte, die er endlich geschlossen hatte, mit einem Gummiband zu verschnüren, als McLeods gerötetes Gesicht über der Trennwand zwischen ihren Schreibtischen erschien.
»Hey, Cardinal. Ich wollte Sie nur kurz warnen. Es geht um unseren Bürgermeister.«
»Was will er denn?«
»Er war gestern Abend hier, als Sie schon Feierabend hatten. Wollte seine Frau vermisst melden. Das Problem ist nur, dass sie gar nicht verschwunden ist. Jeder in der Stadt weiß, wo sie steckt, außer dem verdammten Bürgermeister.«
»Hat sie immer noch eine Affäre mit Reg Wilcox?«
»Ja. Sie wurde sogar gestern Abend in seiner Begleitung gesehen. Szelagy hat am Motel Birches Posten bezogen, umdie Porcini-Brüder im Auge zu behalten. Die sind seit einem halben Jahr wieder auf freiem Fuß und scheinen sich einzubilden, sie könnten wieder ins Geschäft einsteigen. Jedenfalls, als Szelagy gerade hier anruft, um Bericht zu erstatten, sieht er plötzlich die Gattin des Bürgermeisters zusammen mit dem hochgeschätzten Chef der Stadtreinigung aus Zimmer 12 kommen. Also, wenn Sie mich fragen, ich konnte den Typen noch nie ausstehen – möchte wissen, was die Weiber an ihm finden.«
»Er sieht doch gut aus.«
»Ich bitte Sie, Cardinal, der Typ sieht aus wie ein
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