Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
herrschte aller Wohlstand und Pomp vor, der das Reich berühmt gemacht hatte. Hier lebten die Reichen und Schönen, hier wurde das dicke Geld verdient, hier saßen die großen Handelshäuser. Für viele handelte es sich dabei um das eigentliche Quandala. Alles, was außerhalb des Inneren Rings lag, diente der Befriedigung der Bedürfnisse derer innerhalb. Vor allem Bauernhöfe und kleine Handwerksbetriebe fand man in dieser Zone. Aber es gab hier auch Bodenschätze, die reichlich gefördert wurden, um den Luxus der Oberschicht sicherzustellen. Damit die Menschen in diesem Teil des Reiches halbwegs in Sicherheit leben konnten, existierte ein zweiter äußerer Ring, der aus einer stattlichen Zahl an Garnisonen bestand. Die Soldaten, die dort stationiert waren, beschützten die Menschen vor Feinden und anderen Bedrohungen. Zugleich kontrollierten die Statthalter, was dort geschah und konnten so gegen eventuelle Unruhen präventiv vorgehen.
Mirana stand bildhaft für den Übergang vom äußeren zum inneren Teil des Reiches. Wehrhaft-militärisch auf der einen Seite, verschwenderisch-pompös auf der anderen. Beide Seiten vermischten sich im Alltag der Bewohner und führten teilweise zu bizarren Resultaten. Vor allem in der Architektur spiegelte sich das wider, aber auch in der Mode, die verspielt und martialisch zugleich war. Die Stadt wurde im Wesentlichen vom Haus Xi-Yang kontrolliert und beherrscht. Offiziell regierte natürlich der Kaiser, aber er bediente sich in der Regel einzelner Häuser und deren Repräsentanten, um seine Herrschaft auszuüben. Dabei achtete er penibel auf ein gutes – und neutralisierendes – Gleichgewicht der Kräfte. Außerdem lag die Hauptstadt weit entfernt, und der Arm des Kaisers reichte faktisch nicht bis hierher. Xi-Yang gehörte zu den Häusern, die in den vergangenen zwanzig Jahren stark in der Hierarchie aufgestiegen waren. Manche bezeichneten sie hinter vorgehaltener Hand als neureich, andere sagten ihnen überzogene Skrupellosigkeit nach – obwohl Skrupel in kaum einem der bedeutenden Häuser mit zum Repertoire der Empfindungen gehörte. Wer nach oben wollte, der musste schlau, gerissen und gegebenenfalls auch rücksichtslos sein. Wichtig war nur, dass man sich nicht erwischen ließ und den Schein wahrte.
Mia sah die Fahne mit dem Symbol des Hauses Xi-Yang über dem Tor schon von weitem. Sie wehte direkt neben der Nationalflagge Quandalas. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr auf. Sie dachte an das Medaillon. Gerne hätte sie demonstrativ ausgespuckt. Allein, es war nicht mehr genügend Körperflüssigkeit in ihr. Die letzten Tage waren schwer für sie alle gewesen. Es gab kaum Wasser, und ohne Tiere kamen sie nur schleppend voran. Den ersten Tag schlichen sie mehr von Versteck zu Versteck, weil sie nicht wussten, ob sie noch auf weitere Grünhäute treffen würden. Schließlich erreichten sie ein kleines Dorf, wo die mit ihnen geflohenen Dorfbewohner Aufnahme fanden. Den Ballast waren sie also los. Aber auch zu dritt erwies sich der Weg als anstrengend genug. Die Sonne brannte erbarmungslos. Wasserstellen existierten kaum. Reittiere hatte man ihnen in dem Dorf nicht mitgeben können. Dafür gab es unterwegs viel Zeit zum Reden und Nachdenken. Mia und Huan hatten sich viel zu erzählen. Und so schwelgten sie in den guten alten Zeiten. Ranja kam sich da mitunter wie das fünfte Rad am Wagen vor. Allerdings hatte er sich durch seine Aktion gegen die Grünhäute viel Respekt verdient. Immer wieder hatten die anderen ihn gelobt und ihm auf die Schulter geklopft. „Gut gemacht, Beschwörer!“ Auch die Dorfbewohner bedankten sich ein ums andere Mal bei ihm. Dabei wusste er selbst gar nicht so genau, was da ablief. Er befand sich in dem Moment emotional am Rande seiner Belastbarkeit. Auf der einen Seite wollte er helfen, auf der anderen hatte er furchtbare Angst. Und plötzlich agierte ein Teil seiner selbst von ganz alleine; ohne darüber nachzudenken ordnete sich sein Geist und rief die Steine aus der Erde, die dann zu tödlichen Geschossen wurden. Seine Begleiter wussten gar nicht, wie ungewöhnlich diese Aktion gewesen war. Denn es war eine Sache, magische Statuen zu kontrollieren und zu bewegen. Sie trugen bereits einen Zauber in sich, der die Verbindung herstellte und die Kontrolle ermöglichte. Aber es war etwas anderes normale, nicht verzauberte Steine zu bewegen. In den nächsten Tagen hatte er immer wieder versucht, etwas Vergleichbares zustande zu bringen. Die Steine
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