Eiskalte Hand
das Eis gebrochen.
Fu Dang berichtete nun, dass er vor vielen Jahren als Waldarbeiter in einem der Dörfer in der Nähe gelebt hatte. Im Auftrag wohlhabender Adeliger hielt er zusammen mit anderen die Wälder der Gegend in Ordnung – sorgte dafür, dass alles in Schuss war, wenn die Stadtbewohner zur Erholung kamen. Eine Arbeit, die ihm viel Freude bereitete. Doch dann zogen sich die Adeligen zurück. Die Arbeiter wurden nicht mehr bezahlt. Bis auf ihn suchten sie sich andere Beschäftigungen oder gingen selbst weg. Nur er blieb zurück. Täglich ging er in den Wald und machte seine Arbeit. Doch wuchs sie ihm immer mehr über den Kopf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Irgendwann verließ ihn seine Frau. Er verlor sein Haus. Und so zog er an den einzigen Ort, wo er sich noch wohl fühlte: den Wald. Hier hauste er in einer Laubhütte und ernährte sich von dem, was er fand. Hauptsächlich Beeren; denn Tiere verirrten sich selten in diesen Wald. Sie scheuten ihn. Vermutlich lag das an dem alten Anwesen, das sich darin verbarg. Es strahlte etwas aus, das Angst machte. Etwas Fremdartiges, vielleicht sogar Böses.
Mia zuckte zusammen, als die Sprache auf das Anwesen kam. „Kannst du mir mehr zu diesem Anwesen sagen?“, fragte sie vorsichtig. Schlagartig wurde Fu Dang wieder nervös. Schnell legte Doran Zi ihm die Hand auf die Schulter und redete beruhigend auf ihn ein. „Die Menschen hier haben das Anwesen schon immer gemieden. Seine Bewohner wollten keinen Kontakt zur Bevölkerung. Sie blieben meistens zurückgezogen hinter den Mauern. Was da drin vor sich ging, weiß ich nicht. Die Leute haben viel gemunkelt und spekuliert. Doch keiner wusste Genaueres. Als dann keiner mehr in das Anwesen kam, haben einige versucht, dort einzudringen. Aber keinem ist es gelungen. Mancher ist niemals zurückgekehrt. Irgendwas ist da. Etwas…Gefährliches. Und die Tiere spüren das viel besser als wir Menschen; deshalb meiden sie den Bereich. Und mittlerweile haben es auch die Menschen kapiert. Keiner kommt mehr in den Wald.“ Die Worte von Fu Dang irritierten Mia. Wie konnte das Anwesen ihrer Familie, ihr Erbe, etwas Böses oder Gefährliches ausstrahlen? Das passte so gar nicht mit dem zusammen, was sie bislang von Doran Zi erfahren hatte. Gerne hätte sie mit dem alten Mann darüber gesprochen, doch wollte sie das nicht vor dem Fremden tun.
„Kannst du uns den Weg zu dem Anwesen zeigen?“, fragte nun Doran Zi. Fu Dang hob abwehrend die Hände und schüttelte energisch mit dem Kopf. „Da geh ich nicht hin.“, sagte er mit ängstlicher Stimme, „Und ihr solltet das auch nicht tun. Keiner sollte das tun.“ Wieder musste Doran Zi den Mann ein wenig beruhigen. Dann versuchte er es erneut. „Kannst du uns denn sagen, wo wir lang gehen müssen? Du brauchst auch nicht mitzukommen.“ Das schien Fu Dang schon besser zu gefallen. „Kommt mit!“, sagte er und drehte sich, ohne zu warten, um. Nach vielleicht hundert mühsamen Metern durch das Unterholz schob der Bärtige mit einem Stock Wurzeln und Gestrüpp beiseite. Darunter kamen die Überreste eines Weges zum Vorschein. „Folgt der Straße.“, sagte er, „Sie wird euch direkt zum Anwesen bringen. Aber überlegt euch nochmal, ob ihr das wirklich wollt.“
„Wir wissen, was wir tun.“, gab Mia trocken zurück und hoffte inständig, dass das auch stimmte. Dann griff sie in die Tasche und holte ein paar Münzen heraus, die sie Fu Dang in die Hand drückte. „Für deine Bemühungen.“ Der Waldbewohner ließ das Geld schnell in seinem Mantel verschwinden und machte sich dann hastig und ohne Verabschiedung aus dem Staub. Wenig später hatte das Dickicht ihn verschlungen. Mia und Doran Zi schauten sich gegenseitig an und mussten beide grinsen. Doch dann wurden sie auch schon wieder ernst. „Was ist da los?“, fragte Mia den alten Mann. Ratlosigkeit sprach aus ihren Gesichtszügen. „Ganz ehrlich, ich weiß es auch nicht. Vielleicht hat deine Familie das Anwesen mit einem Abwehrzauber belegt, um Fremde fern zu halten oder möglicherweise sogar das Artefakt zu beschützen. Ein Zauber, der neugierige Besucher vertreibt. Und aus irgendwelchen Gründen wirkt er halt auch auf die Tiere.“ Den Gedanken fand Mia gar nicht so abwegig. Wer das nötige Vermögen besaß, konnte sich mächtige Magie leisten. Und um Bauern und Glücksritter fernzuhalten, reichte solch ein Schutzzauber allemal. Sie musste an die Feuerfalle im Haus von Ajung Lang denken. Nicht, dass sie sie
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