Eiskaltes Herz
»Ts, ts, ts«, macht er und droht mir mit dem Finger. Dann grinst er und sieht dabei aus wie ein Totenkopf.
6
April
Die nächsten zwei Wochen waren die Hölle. Ich heulte mich bei allen aus – bei Tine, die mir versicherte, dass Vanessa eine saudumme Kuh war, bei meiner Mutter, die mich zu trösten versuchte, mir einen Gutschein für meinen Lieblingsladen schenkte und Pfannkuchen backte, bei Nadine und Julia, die sich solidarisch zeigten, und sogar bei Frau Pfeifer, unserer Deutschlehrerin, die sich erkundigt hatte, ob bei mir alles in Ordnung war.
»Das wird schon wieder«, tröstete sie mich. »Die erste Liebe hält doch meistens nicht, bestimmt lernst du bald jemand Neues kennen.«
Ich nickte und starrte dabei auf den Kreidefleck auf ihrem Rock, sah ihre geschwollenen Beine und ihre mit Verzweiflung auf jung getrimmte Frisur. Frau Pfeifer meinte es gut, aber sie war über fünfzig und hatte einen Mann zu Hause, der wie eine Kreuzung zwischen Homer Simpson und einer alten Ledertasche aussah – was verstand die schon von Liebe?
Ich versuchte mehrmals, Leander anzurufen, aber er ging nie ans Telefon – so viel zum Thema Freundebleiben und noch mal in Ruhe reden. Und ich verstieg mich in Fantasien: erst darin, dass Vanessas Familie auf einmal wegziehen musste, nach Australien am besten, dann darin, dass sie auf einmal alles verloren und Hartz-IV-Empfänger wurden. Dann wurde ich rabiater: dass ihr die Haare ausfielen, Akne über sie einbrach, dass sie fett wurde. Und zu guter Letzt, dass sie einen Unfall hatte und monatelang im Bett liegen musste. Ich schämte mich unendlich, aber ich konnte es trotzdem nicht abstellen. Am schlimmsten war es in der Schule, wenn ich, so wie heute, nach dem Unterricht im Bioraum oben am Fenster stand und hinunter in die Grünanlagen sah. Dort lungerten sie alle herum – Leander, Vanessa, Gregor, Hendrik, Sarah und Moritz. Sie quatschten, lärmten, lachten wie immer. Nur mit dem Unterschied, dass Vanessa jetzt an meiner Stelle mit von der Partie war und Leander ganz offensichtlich nicht die Finger von ihr lassen konnte.
»Sie hat ihn verhext, sieh dir das doch nur mal an«, sagte ich wütend zu Tine, die neben mir am Fenster stand. Nadine und Julia traten neugierig hinzu.
»Die liebt ihn doch niemals. Sie kennt ihn ja kaum. Leander gehört zu mir, warum nimmt sie ihn mir weg?« Meine Finger zwirbelten an dem albernen Plüschanhänger herum, den Leander mir mal auf dem Rummel geschossen hatte und der seitdem an meiner Tasche baumelte. Unten küsste Leander Vanessa auf den Mund. Ich riss den Anhänger ab und klatschte ihn mit Wucht an die Wand.
»Mensch, Lena!«, sagte Nadine erschrocken. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Julia.
»Vanessa hat alles, was sie will«, verteidigte ich mich. »Sie kann jeden Kerl haben, der in dieser Stadt rumläuft. Warum muss sie ausgerechnet meinen Freund klauen?« Tränen stiegen mir in die Augen.
»Ich weiß noch, dass Leander irgendwann mal gesagt hat, dass er niemals was mit Vanessa anfangen würde, auch wenn alle anderen sie so toll finden. Sie sei ihm viel zu sehr Mainstream.« Tine stockte kurz. »Das war, als er in dich verknallt war. Er meinte dann wohl, Vanessa sei wie ein Hollywood-Blockbuster und dass er lieber interessante Indie-Filme sieht.«
Es tat gut und gleichzeitig weh, das zu hören. Ich war der Indie-Film. Aber mit dem Hollywood-Blockbuster konnte man im Endeffekt eben doch mehr Eindruck schinden.
»Wahrscheinlich wollte sie sich beweisen, dass sie ihn rumkriegt. Gerade weil er das gesagt hat. Darum geht es ihr. Bestimmt hat sie ihn bald satt. Außerdem hat sie doch gar keine Zeit für einen Freund mit ihren tausend Hobbys und Wettkämpfen.«
»Meinst du?« Ich klammerte mich an Tines Worte und wünschte mir so sehr, dass sie recht hatte. Andererseits wusste die ganze Schule mittlerweile, wie sehr Vanessa angeblich in Leander verliebt war. Sie erzählte es ja höchstpersönlich überall herum.
»Na klar. Jetzt komm mit runter, versteck dich doch nicht so. Es gibt noch andere Jungs auf der Welt.«
»Nein!«
Tine warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Sie war kleiner als ich und sah mit ihren großen blauen Augen immer so jung aus, jetzt aber wirkte sie wie eine strenge große Schwester. »Lena, nimm es mir nicht übel, aber findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?«
Julia mischte sich auch noch ein. »Du kannst es nicht ändern, nun lass die beiden doch.«
Nadine schob sie weg. »Wir gehen schon mal
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