Eismord
Nikki?«
»Sie haben ihre Eltern immer noch nicht ausfindig gemacht. Vielleicht wollen sie auch nicht gefunden werden. Vorerst ist sie in Gewahrsam. Kreeger will sie offenbar nicht anzeigen, aber die Staatsanwaltschaft wird Entführung und Freiheitsberaubung nicht einfach auf sich beruhen lassen, auch wenn sie den alten Mann gehen ließ.«
»Was hören wir von der Forensik?«
»Die DNA aus dem Cottage der Scrivers stimmt mit der von Curtis Winston überein. Es existiert weder unter seinem echten noch unter dem falschen Namen ein Vorstrafenregister, aber er ist jetzt der Hauptverdächtige in einer ganzen Reihe grausiger Morde in den Staaten – bei denen überall nur eine oberflächliche Verbindung zwischen ihm und den Opfern besteht und kein offensichtliches Motiv zu erkennen ist.«
»Er ist über jemanden verärgert und hackt ihm den Kopf ab.«
»Das überlässt er seinen sogenannten Kindern. Bei dem Kerl, der dich angegriffen hat, handelt es sich um einen gewissen Jackson Till. Er hat wegen Vergewaltigung, Totschlags und schwerer Körperverletzung in Texas eingesessen. Alles okay?«
Delorme war blass geworden. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich muss einfach ständig daran denken. Ich seh’s vor mir. Immer und immer wieder.«
»Du hattest keine Wahl, das weißt du.«
»Ja, das weiß ich. Aber irgendwie hilft das nicht.«
»Falls es dich tröstet, die Staatsanwaltschaft geht klar von der Annahme aus, dass du ihn in Notwehr getötet hast. Der endgültige Bericht wird Wochen dauern. Dasselbe gilt für mich und Donna Vaughan.«
Eine Woge der Übelkeit erfasste Cardinal, und er setzte sich neben sie aufs Sofa.
Eine ganze Weile sprach keiner von ihnen ein Wort. Schließlich sagte Cardinal: »Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Frau erschieße.«
»Du sagst ja selbst«, antwortete Delorme, »du hattest keine Wahl.«
Wieder Schweigen.
Schließlich sagte Cardinal: »Weißt du, ich hab mit der echten Donna Vaughan gesprochen. Sie arbeitet in New York als freischaffende Journalistin, und zwar nur im Bereich Mode; für die russische Mafia interessiert sie sich nicht die Bohne. Sie hatte auch keine Ahnung, dass Christine Rickert sich, als sie vor zwei Wochen auf Bewährung aus dem Knast kam, ihre Identität geborgt hat. Ich sag dir, Lise, wenn ich daran denke, was für ein Idiot ich gewesen bin, bleibt mir die Luft weg. Ich fass es einfach nicht, dass ich sie nicht durchschaut habe.«
»Wieso, John? Aus welchem Grund hättest du in ihr etwas anderes als eine engagierte Journalistin sehen sollen?« Delorme legte Cardinal ihre warme Hand auf die Schulter. »Und schließlich ist es noch nicht so lange her, seit deine Frau gestorben ist. Du warst anfällig.«
»Dämlich, meinst du.«
»Du hast einen ganz großen Fall gelöst. Zwei ganz große Fälle. Ich glaube nicht, dass ›dämlich‹ der richtige Ausdruck dafür ist.« Sie drückte ihm freundschaftlich den Arm. »Heute Abend Lust auf ein Video? Mit Popcorn und allem Drum und Dran?«
Cardinal zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht …«
»Sag schon. Worauf hättest du Lust? Auf einen alten Klassiker? Eine Komödie?«
»Ist mir eigentlich egal«, antwortete Cardinal. »Solange keine Monster vorkommen.«
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Über Giles Blunt
Giles Blunt, geboren 1952, wuchs in North Bay in der kanadischen Provinz Ontario auf und studierte Englische Literatur an der Universität Toronto. 1980 ging er nach New York, wo er sich u.a. als Streetworker, Gerichtsdiener und Barkeeper durchschlug. Heute lebt er wieder in Toronto und ist freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Mit seinem hoch gelobten Thrillerdebüt »Gefrorene Seelen« gelang ihm der internationale Durchbruch. Seitdem sind drei weitere erfolgreiche Thriller, »Blutiges Eis«, »Kalter Mond« und »Eisiges Herz«, erschienen. Der Gewinn des Silver Dagger der britischen Crime Writers’ Association und des Arthur Ellis Award sowie Nominierungen für so renommierte Krimipreise wie den Hammett, den Anthony und den Macavity Award machten ihn zu Kanadas Thrillerautor Nr. 1.
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Über dieses Buch
Algonquin Bay, eisiger Winter: Detective John Cardinal trauert um seine Frau Catherine und lenkt sich mit »cold cases« von seinem tiefen Schmerz ab. Zu seiner Kollegin Lise Delorme pflegt er weiterhin ein platonisches Verhältnis. Doch mit der winterlichen Ruhe ist es vorbei, als in einem Ferienhaus am zugefrorenen Trout Lake zwei Leichen gefunden werden, beide enthauptet. Kurz darauf werden die
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