Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Countdown.
»Vor sieben Jahren um diese Zeit saß ich mit meiner Frau in der Küche und hätte nicht im Traum gedacht, dass mich der Albaner mal so reinlegen könnte«, sagt er und schnieft und schmeißt seine Zigarettenkippe aufs Kopfsteinpflaster am alten Fischmarkt.
Rund um die Fischauktionshalle wird gerödelt und geschoben und geschuftet, für die große Party heute Nacht.
»Vor sieben Jahren um diese Zeit hatte ich bestimmt schon mein erstes Bier«, sage ich, auch um ihn ein bisschen aufzuheitern. »Mein Gott, war ich da noch jung.«
Mein Aufheiterungsversuch kommt nicht so richtig an, der Faller hat die Augenbrauen zu einer dunkelgrauen Linie zusammengezogen und ist mit den schwarzen Ecken seiner Biografie beschäftigt. Er hat seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, seine Schultern sind so angespannt, dass sein Kopf sich fast dazwischen verstecken könnte. Er spult das Ding ab, das damals passiert ist, und das geht so:
Vor sieben Jahren um diese Zeit haben wir telefoniert, weil mir so einsam war und ich nicht wusste, wie ich die Silvesternacht überleben soll. Wir trafen uns an der Würstchenbude vor der Davidwache, der Faller hatte einen bösen Streit mit seiner Frau hinter sich, weil er mich nicht alleinlassen konnte, seine Frau und seine Tochter aber schon. Wir stürzten uns mittenrein, in unsere große Silvesterkieztour, hey ho, das sollte ein Spaß werden. Der Faller war damals eine große Nummer auf Sankt Pauli, bekannt wie ein bunter Hund, und alle mochten ihn. Alle, bis auf ein paar Jungs aus Albanien. Wir blieben eine Weile im Silbersack hängen, da war die Hölle los, da steppten die Opas auf dem Tresen.
Draußen tanzten die Schneeflocken. Wir tanzten erst in die Regina Disko auf der Großen Freiheit und dann in die Washington Bar, wir tanzten, bis uns die Knochen weh taten. Eigentlich tanzen wir ja nicht, weder der Faller noch ich, aber in dieser Nacht war alles anders. Wir waren Könige. Und als das neue Jahr über uns hereinbrach, hatten wir keine Ahnung, was es uns noch alles bringen sollte. Irgendwer, den der Faller kannte, schleifte uns in diese Wohnung über der Hafenstraße, mit einem großen Blick über die Industrieromantik, der uns weich machte in den Knien. Unsere Köpfe waren auch so schon ausreichend aufgeweicht, da hatte der Alkohol ganze Arbeit geleistet. Es wurde nachgeschenkt. Und bei uns gingen die Lichter aus.
Ich bin in der Bar im Erdgeschoss aufgewacht, hatte mich auf der Eckbank zusammengerollt. Kein Faller, nirgends. Ich hab mich in den Tag geschält und gesehen, dass die Tür zu dem Haus offen stand, in dem wir letzte Nacht versunken sind. Ich bin die Treppen hoch, die Wohnungstür war auch auf. Ich bin da rein, mit einem Summen in den Ohren, ich wusste, dass ich mich auf was gefasst machen musste. Ich wusste, dass was passiert war. Die Wohnung wirkte nicht ansatzweise so lauschig und warm wie noch vor ein paar Stunden. Sie war kalt, schmutzig und unbewohnt.
Der Faller lag im Schlafzimmer, auf einem fleckigen Bett. Seine Klamotten waren im Raum verstreut. Neben ihm lag ein Mädchen in roter Unterwäsche. Das Mädchen war tot. Auf dem Mädchen lag ein Zettel. Auf dem Zettel stand:
HALT DICH RAUS, ALTER MANN.
Der Faller hatte dem Albaner in den Wochen und Monaten davor richtig Probleme gemacht. Er hatte sich ja vorgenommen, den Albaner vom Kiez zu vertreiben. Jetzt hatte der Albaner den Spieß umgedreht.
Ich hab erst Klatsche angerufen, der hat das Mädchen weggebracht.
Dann hab ich den Calabretta angerufen, der hat den Faller weggebracht.
Niemand außer Klatsche, dem Faller und mir weiß von dem Mädchen. Der Calabretta kennt nur den Zettel.
Der Faller quält sich seitdem. Denn er kann genauso wenig wie ich mit Sicherheit sagen, dass er das Mädchen nicht auf dem Gewissen hat. Die haben uns ausgeknockt damals. Die haben uns was in die Drinks getan. Wir waren so wehrlos wie die Obdachlosen, die im Bunker vermöbelt wurden. Und wir haben keinen blassen Dunst, was in der Zeit passiert ist, als es in unseren Köpfen dunkel war.
Wir sitzen auf einer Mauer, vor uns liegt der Sandstrand, links neben uns schiebt sich die durchgefrorene Elbe sachte in Richtung Meer. Ich bin ganz nah an den Faller rangerückt, so nah, wie es gerade noch geht, ohne dass es ihm oder mir unangenehm wäre. Wir rauchen. Ziehen mit dem Rauch die kalte Luft ein und beruhigen unsere inneren Schwellungen.
»Die kriegen nicht viel für ihre Prügeleien, oder?«
Der Faller kuckt auf die Elbe, mit
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