Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
sie.
»Wer?«, frage ich.
»Ich weiß nicht, wie er heißt«, sagt sie. »Er schläft hier.«
Wir machen das Gitter auf und die Tür, ich mache mit dem Display meines Telefons ein bisschen Licht, es reicht gerade aus, um zu sehen, dass am Ende des Raumes ein alter Kleiderschrank offen steht.
»Da«, sagt das rothaarige Mädchen, »durch den Schrank.«
Ich gehe vor und leuchte, der Faller geht hinter mir. Das Licht meines Displays fällt durch den Schrank durch, der keine Rückwand mehr hat. Dahinter ist eine Treppe, wenn ich das richtig sehe.
»Was ist da unten?«, frage ich.
»Die Pesthöfe«, sagt das Mädchen. »Sankt Pauli ist unterkellert, das ganze Viertel, wusstet ihr das nicht?«
Ich schüttele den Kopf. Der Faller kuckt wie ein Auto.
»Das ist noch aus der Pestzeit«, sagt das rothaarige Mädchen. »Die Kranken, die mit den Schiffen im Hafen ankamen, mussten ja irgendwie zu den Krankenhäusern geschafft werden. Das haben die wohl unterirdisch gemacht. Ach, was weiß denn ich. Erzählt man sich halt so. Die meisten Gänge und Keller sind wahrscheinlich auch zugeschüttet. Aber hier unten, direkt unterm Möwe Sturzflug, ist der Rest eines alten Krankenhauses. Die Pesthöfe eben. So hieß das damals.«
Ich glaub, ich spinne. Wieso weiß ich so was nicht?
»Ich muss zurück in die Bar«, sagt das Mädchen. »Ihr schafft das alleine, oder?«
Ich nicke.
»Danke«, sage ich.
Sie zuckt mit den Schultern, und dann ist sie weg.
Pesthöfe. Unglaublich.
*
»Darf ich Sie was fragen?«
Der Wolfsmann sieht mich an, brummt. Er sitzt auf einer Matratze, lehnt mit dem Rücken an der Wand. Über ihm baumelt eine einzelne Glühbirne. Sie taucht das Gewölbe in ein dunkles, geheimnisvolles Licht, sieht aus wie eine kleine Kathedrale. Ich wusste nicht, dass wir so was haben auf Sankt Pauli.
Der Wolfsmann brummt noch mal. Dann nickt er.
»Worauf warten Sie, wenn Sie an der Feldstraße stehen?«
Er sieht mich weiter an, regungslos. Dann sieht er zu Boden, streicht mit den Fingern über ein Scrabble-Spiel, das zu seinen Füßen liegt.
»Auf wen warten Sie da immer?«
Er holt Luft, sieht kurz durch mich hindurch, dann wieder in meine Augen.
»Auf einen Engel«, sagt er. »Aber ich schätze, damit höre ich jetzt auf.«
30. Dezember:
Manchmal ist es drinnen kälter als draußen
C aspar?«
»Hm?«
»Vielleicht sollten wir Yannick und Angel eine Weile ins Ausland schicken. Wenn alles vorbei ist.«
»Hab ich auch schon überlegt. Wäre gut für die Kinder und gut für uns. London?«
»Ich bin eher für Neuseeland. Wir haben doch diesen einen Kunden in Berlin, der hat ein Büro in Wellington. Er sagt, die Ecke ist sehr inspirierend. Und die Schulen sind wohl hervorragend.«
»Lass uns die beiden doch gleich mal fragen.«
»Da brauchen wir nicht fragen, Liliane. Das machen wir einfach. Die Kinder verstehen das sicher.«
»Ja, Liebling. Die verstehen das.«
*
»Frank. Fra-hank!«
»Hm.«
»Gib ma Kippen und Bier.«
»Haste nich schon genuch heute?«
»Nää. Gib ma. Und sach ma Patric, dass er seine Scheißmucke leiser machen soll.«
»Hört doch eh nich’ auf mich.«
»PATRIC! MUSIK! ZU LAUT! Frank, hast du’s bald ma mit mein Bier und mein Kippen?«
»Hm. Hier. Wo sind’n die Jungs?«
»Machen Fernseh.«
»Und wo is’ Angela schon wieder?«
»Keine Ahnung. Aber ich brauch die heute noch. Zu’n einkaufen. Ich bin ganz kaputt von den lang’n Tach.«
»Haste ihr schon Geld mitgegeben, wegen einkaufen?«
»Nää. Wieso?«
»Geld is’ alle.«
»War die das jetz’, oder was?«
*
»Mama?«
»Mhmmmh, mhmmmh …«
»Mama? Was singst du denn da?«
»Was? Ach … nichts. Gar nichts.«
»Mama, ich muss mit dir reden.«
»Was gibt’s denn, Katinkaschatz?«
»Mama, ich hör mit der Schule auf.«
»Schule ist wichtig, Katinkaschatz.«
»Ich hör lieber auf damit, Mama. Mir bringt das nichts.«
»Wie du meinst, mein Kind, wie du meinst.«
»Mama?«
»Mhmmmh, mhmmmh …«
»Was singst du denn da schon wieder?«
»Leilalalala, leileilalala …«
»Vielleicht solltest du doch irgendwann zurück nach Hause gehen.«
»Vielleicht, Katinkaschatz, vielleicht.«
*
»Man muss den Kaffee langsam rösten.«
»Arndt?«
»In der Trommel.«
»Arndt?«
»Gute halbe Stunde. Nicht nur so zehn Minuten in der heißen Röhre.«
»Arndt!«
»Geschmacklich ein Riesenunterschied.«
»ARNDT!«
»Ja, was denn?«
»Kannst du die Kleine für eine Stunde zu dir in den Laden nehmen?«
»Hab gerade
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