Eisprinzessin
war.
»Ich hab ihm gesagt, dass wir noch einmal vierundzwanzig Stunden warten«, sagte Brunner. »Er soll währenddessen alle Freundinnen und die Familie seiner Frau anrufen. Sich ein bisschen anstrengen und auf eigene Faust nach Spuren suchen. Natürlich wollte er, dass wir nach ihr fahnden, aber ich habe ihm erklärt, dass wir das noch gar nicht dürfen.«
»Und? Wie hat er darauf reagiert? Wie heißt er noch mal?«
»Eberl. Moritz. Der Mann ist nicht ganz sauber, wenn du mich fragst«, sagte Brunner. »Hat mir was vorgeheult, das war echt schlimm. Wie kann man sich bloß so wenig in der Gewalt haben? Es ist doch noch gar nichts passiert. Vielleicht hat die Frau einfach nur einen Fahrradunfall gehabt. Ich an seiner Stelle hätte schon längst die Strecke abgesucht, die sie normalerweise fährt. Und ich hätte in ihren Sachen nachgeschaut. Die ganze Bude hätte ich auf den Kopf gestellt.«
»Das kann ich mir vorstellen, dass du das getan hättest. Und er?«
»Nichts. Er sitzt nur daheim und bemitleidet sich selbst. Und steigert sich rein, dass ihr was Schlimmes passiert sein muss. Faselt die ganze Zeit was von einem Verbrechen.«
Meißner hörte Brunner schweigend zu.
»Kann der sich nicht mal zusammenreißen? Hat sich in seiner Firma krankgemeldet und vom Arzt Beruhigungsmittel verschreiben lassen. So ein Schattenparker.«
Meißner verstand nicht, warum Brunner sich so in seine Aversion gegen diesen Mann hineinsteigerte. Aber »Schattenparker« gefiel ihm.
»Du würdest also einfach zur Arbeit und abends zu deiner Schafkopfrunde, oder was immer du vorhattest, gehen, wenn deine Frau verschwunden wäre?«, fragte er.
»Auf jeden Fall würde ich nicht auf einem Polizeipräsidium hysterisch rumheulen. Das würde ich schon mit mir allein ausmachen.«
»Ach so«, sagte Meißner. »Ein Indianer kennt keinen Schmerz und so. Und was, glaubst du, ist da wirklich passiert?«
»Ich glaube, die Frau hatte diese Memme satt und hat ihn einfach verlassen.«
»Und warum hat sie ihm das nicht einfach gesagt, dass sie ihn satthat?«
»Weil sie Angst hatte, dass er sich was antut.«
»Und jetzt? Haken wir die Sache einfach ab, wenn sich nach weiteren vierundzwanzig Stunden noch immer kein anderes Bild ergibt?«
»Ich hab gedacht, ich rufe bei ihrer Arbeitsstelle an und rede mal mit ihrem Vater und ihrem Bruder.«
»Was ist mit der Mutter?«, fragte Meißner.
»Gibt es nicht«, sagte Brunner. »Ist wohl verstorben.«
»Und mit wem hast du gerade eben gesprochen?«
»Mit dem Vater. Ein gewisser Herr Helmer, vielleicht kennst du ihn sogar. Donau-Kühlung.«
»Der Kühlhaus-Besitzer?«
»Genau der.«
»Und was sagt er?«
»Er vermutet, dass sie mit einer Freundin unterwegs ist. Vielleicht auf einem Ausflug oder einer Kurzreise, die sein Schwiegersohn nur vergessen hat.«
»Aber bei der Arbeitsstelle hat sie sich ja auch nicht abgemeldet oder Urlaub genommen.«
»Ihr Vater meint, vielleicht ist nur die Person, der sie es gesagt hat, heute nicht da. Könnte ja sein. Die Sprachenschule hat wenig festes Personal. Die Lehrkräfte sind an verschiedenen Einsatzorten tätig.«
»Und wie sieht’s mit Papieren, Kreditkarten und Handy aus? Hat sie alles dabei? Und hat sie in der Wohnung irgendeinen Hinweis hinterlassen?«
»Können wir nicht wissen, solange wir nicht selbst hingehen und nachsehen.«
Als Meißner und Marlu am späteren Nachmittag bei Eberl klingelten, dauerte es etwas, bis der Türöffner summte, obwohl sie sich vorher telefonisch angemeldet hatten. Charlotte Helmer und ihr Mann lebten in einer Wohnung im Ingolstädter Westen. Im Treppenhaus roch es nach gebratenem Fleisch mit Zwiebelringen.
»Vielleicht ist sie ja wieder da?«, sagte Marlu.
Meißner begriff nicht gleich.
»Jetzt feiern sie Wiedersehen, und das dumme Missverständnis wird aufgeklärt. Eberl hatte nur vergessen, dass seine Frau auf einer kurzen Geschäftsreise war, weil sie für eine kranke Kollegin einspringen musste. Vielleicht als Dolmetscherin oder auf einer Messe.«
Als Eberl die Tür öffnete, verflüchtigte sich die kurz aufgekeimte Hoffnung sofort wieder. Die Frage, ob es etwas Neues gab, konnten sie sich sparen.
»Haben Sie schon mit den Freundinnen Ihrer Frau gesprochen?«, fragte Meißner.
Eberl nickte. »Nichts«, sagte er.
»Und Familie?«
Er schüttelte wieder den Kopf.
»Dann sind Sie also vorerst die Person, die Ihre Frau zum letzten Mal gesehen hat. Sind Sie die Fahrradstrecke Ihrer Frau abgegangen?«
»Ja, aber
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