Eisprinzessin
herausholte, sah er, dass es die ganze Zeit auf stumm gestellt gewesen war. Die nicht angenommenen Anrufe blinkten ihm entgegen. Eine Drei stand leuchtend in einem roten Kreis. Er musste nicht drauftippen, um zu wissen, wer da angerufen hatte. Treuer Dackel, so hatte ihn Kirsti genannt. Marlu würde ihn ganz bestimmt anders nennen, wenn sie wüsste, wo er gerade gewesen war. Aber wer weiß, vielleicht war die Treue für sie selbst ja doch nicht so ein eherner Wert, und diesem aufgeblasenen und intriganten Affen Brunner war es gelungen, Marlus Festung zum Wanken zu bringen. Schließlich war er derjenige gewesen, der den Schauplatz kampflos verlassen und seinem Rivalen dadurch möglicherweise einen Vorteil verschafft hatte. Ungeschicktheit war das unverwechselbare Merkmal all seiner bisherigen Frauenbeziehungen, und er zweifelte daran, dass sich das jemals ändern würde. Hoffentlich schlief Marlu jetzt schon. Und hoffentlich war sie dabei allein.
SIEBEN
Am nächsten Morgen wachte Meißner früh auf. Der Dezember sah aus wie die Verlängerung des Novembers, nass und kalt. Die Straße glänzte noch vom nächtlichen Regen, die Wassertropfen auf dem Dach seines dunkelblauen Audi sahen aus wie Seepocken auf einer Walhaut. Es war das typische Wetter für nasse Schuhe, aufgestellte Mantelkrägen, Niesanfälle und beginnende Erkältungen – oder zumindest für die Angst vor alledem. Meißner fiel eine Gedichtzeile ein: »Die Krähen schrein und ziehen schwirren Flugs zur Stadt.« Wie ging das weiter? »Bald … bald wird es schnei’n. Weh dem, der keine Heimat hat.«
Nun ja, ganz so schlimm war es nun auch wieder nicht. Seit vielen Jahren hatte er seine Heimat im Polizeipräsidium Ingolstadt gefunden, und dorthin fuhr er jetzt auch trockenen Fußes, die Heizung und das Autoradio eingeschaltet. »Mittwoch, fünfter Dezember, guten Morgen bei Radio IN .«
Er war ganz ruhig, vielleicht ein bisschen erschöpft, aber auch erleichtert nach dem gestrigen Gespräch mit Kirsti. Er hatte zwar gar nicht so viel geredet, aber bei solchen Sachen ging es ja ums Aussprechen, das allein nahm schon viel Druck. Wenn ein anderer einfach zuhörte und nicht beurteilte, verurteilte oder interpretierte, nur zuhörte und einfach kapierte, was los war. Es reichte nicht, es einem Besenstiel zu erzählen, einem Baum oder der Katze. Vielleicht einem Hund, aber den hatte er ja sowieso nicht. Es einem anderen Menschen zu erzählen, das war auf jeden Fall die Krönung.
Meißner war der Erste im Büro, warf die Kaffeemaschine an, befüllte den Wasserbehälter neu und schlug den Kaffeesatz aus dem Metallsieb. Gut, dass er sich mit der teuren italienischen Maschine gegen den Plan einiger Kollegen durchgesetzt hatte, eine dieser billigen Pad-Dinger anzuschaffen. Schon dieses Plopp, wenn der Aludeckel beim Einlegen eingedrückt wird. Und der ganze Müll, den man damit täglich produziert. Der Kaffee aus diesen Pad-Maschinen schmeckte immerhin besser, als er zugeben mochte, und die Werbespots waren ja manchmal sogar witzig. George Clooney war nur wenige Jahre älter als er selbst, aber das sah man ihm nicht an.
Als Marlu ins Büro kam, wirkte sie verschnupft, so, als sei sie eine Stunde durch Regen und Kälte marschiert. Sie sah kurz zu ihm herein, grüßte in seine Richtung und verzog sich dann in ihr Zimmer.
Kurz darauf servierte Meißner ihr einen Kaffee mit Spezialcrema und einem Schuss Milch plus zwei Cantuccini am Tellerrand und wollte gerade zu einer Entschuldigung wegen des stumm gestellten Telefons ansetzen, als Strahlemann Brunner in der Tür erschien und mit einer Bäckertüte wedelte. Er sah aus, als hätte er sich aus seiner Wohnung direkt ins Büro gebeamt. Anscheinend hatte er vom ekelhaften Wetter nichts mitbekommen.
»Schönen guten Morgen. Möchte jemand ein Schokocroissant?« Er sagte Schoko mit hartem G. »Schoggo.« Genau, dachte Meißner, »Schoggocroissant«, das passte auch prima zu Kaffeepads.
»Ein normales Buttercroissant ist auch dabei«, sagte Brunner, Butter mit hartem D.
»Haben wir da gestern in der Wohnung von Moritz Eberl etwas übersehen?«, fragte Meißner. »Warst du nach uns noch einmal dort?«
»Ja, nein, ihr habt nicht direkt was übersehen.«
»Und woher hast du diese Amitridingsbums-Tabletten?«
»Die sind im Eberl seiner Jacke gesteckt.«
»Du hast sie rausgenommen?«
»Ich hab gedacht, sie wären wichtig und er wollte sie vor uns verstecken. Ich hab sie ihm heute Morgen schon zurückgebracht.«
»Was?
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