Eisprinzessin
erfuhr sie nie. Auf einmal war sie da gewesen, war aus der Dunkelheit hinausgetreten ins Licht.
* * *
Marlu nahm die Ortsdurchfahrt durch Etting und fuhr an der rosa-weißen Dorfkirche mit ihrem gedrungenen Turm mitten im Ort vorbei. Das Haus des Kühlhausbesitzers Helmer war eine repräsentative Villa.
»Da hat aber jemand ein Vermögen verbaut«, sagte Marlu, als sie vor dem herrschaftlichen Anwesen hielt.
»Ist aber schon eine Weile her«, meinte Meißner. Die Villa stammte wahrscheinlich aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Marlu hatte das Auto in der Einfahrt geparkt, weil der Platz vor der Garage, in der gut und gern eine fünfköpfige Familie hätte wohnen können, bereits belegt war. Davor der standesgemäße Fuhrpark: ein silbernes Mercedes SL Cabrio mit schwarzem Verdeck, daneben ein weißer Audi Q 7 mit Steilheck, beide mit Ingolstädter Kennzeichen. Auf dem gepflasterten, von Glaskugellampen gesäumten Weg zum Eingang kamen ihnen ein jüngeres Paar und eine Enddreißigerin im eleganten dunkelblauen Kostüm mit beigen Pumps und einem Halstuch mit Reitermotiven entgegen.
»Grüß Gott, Herr …?«
»Meißner.«
»Herr und Frau Meißner? Sie interessieren sich auch für das Haus? Prima, dann folgen Sie mir doch bitte.«
Sie gingen um das Haus herum zur Terrasse.
»Stilvolle Landhausvilla mit eingewachsenem Garten in verkehrsberuhigter Ortsrandlage, umgeben von Wiesen und Wäldern. Hier stört Sie niemand.« Sie warf den beiden Paaren vielsagende Blicke zu.
»Dreizehn Zimmer, sechshundertsiebzig Quadratmeter Wohnfläche.« Die Größe sah man dem etwas verschachtelt gebauten Quader gar nicht an. Understatement bis in den Grundriss.
»Einliegerwohnung mit circa zweihundert Quadratmetern, Gartenhaus, Innenpool mit Dusche, Umkleide, WC , Saunabereich mit Dusche, Alarmanlage, Garage mit drei Stellplätzen, Ölabscheider und Waschanlage, fünf offene Kamine, Kellerbar …«
Brauch ich alles nicht, dachte Meißner. An einem der Fenster im ersten Stock, die sich mit ihrer Oberkante an die Schräge des flach geneigten Daches anpassten, stand ein junger Mann und sah auf die fremden Leute in seinem Garten hinunter. Er wirkte arrogant, aufbrausend, als käme er gleich herunter, um sie alle von seinem Grundstück zu jagen.
»Wie alt ist denn das Haus?«, fragte Marlu.
»Baujahr 1976«, antwortete die Maklerin.
»Ah, fast mein Alter. Und wie groß ist es, sagten Sie?«
»Sechshundertsiebzig Quadratmeter Wohnfläche bei einem Grundstück von zweitausenddreihundert Quadratmetern. Sieben Schlafzimmer, drei Badezimmer, alles komplett unterkellert.«
»Und der Kaufpreis?«, fragte Meißner.
»Neunhundertfünfundneunzigtausend Euro, und das ist das Haus mit dem großen Grundstück auch wert.«
»Danke schön«, sagte Meißner und wandte sich Richtung Eingangstür. Die Dame drückte ihm ihre Visitenkarte in die Hand. »Immobilien Kumpfmüller. Alexandra Kumpfmüller, Dipl. Betriebswirtin ( FH )«.
Als sie an der Tür klingelten, kam die diplomierte Betriebswirtin aufgeregt hinter ihnen hergelaufen.
»Ich zeige Ihnen das Haus auch innen wirklich gern, Herr Meißner, aber warten Sie doch bitte, bis ich mit meiner Führung so weit bin.«
Meißner zog seinen Ausweis aus der Tasche.
»Kripo Ingolstadt?«, fragte sie. »Warum haben Sie denn nichts gesagt? Hat Ihr Besuch etwas mit dem Haus zu tun?«
Die Tür ging auf.
»Wir hätten gern Herrn Helmer gesprochen«, sagte Marlu zu der schmalen Frau, die nur kurz auf Meißners Ausweis sah. Sie trug ihre Haare zu einem altmodischen Dutt aufgesteckt. Ihre unauffällige Kleidung und die flachen Schuhe sahen aus wie eine Uniform. Die Maklerin ging zurück in den Garten.
»Möchten Sie den Junior oder den Senior sprechen?«, fragte die Hausangestellte mit leichtem, vielleicht slawischem Akzent. »Der Senior hat sich gerade kurz hingelegt.«
»Was gibt’s denn, Vilma?« Sie hörten Schritte auf der Treppe.
»Die Herrschaften sind von der Polizei.«
»Worum geht’s denn?« Der Junior kam zur Tür und bat sie herein. »Andreas Helmer.«
»Sie wollen wegziehen?«, fragte Meißner.
»Richtig. Ich ziehe nach München und mein Vater in sein geliebtes Altmühltal. Was führt Sie hierher?«
»Es geht um Ihre Schwester«, sagte Meißner. »Sie machen sich sicher Sorgen um sie?«
»Also, ehrlich gesagt, mache ich mir im Moment noch keine großen Sorgen. Charlotte ist erwachsen. Sie kann doch mal ein paar Tage wegfahren, ohne dass wir hier gleich die Pferde
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