Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Immerhin spreche ich ein bisschen Französisch. Wenn du nicht artig bist, bestelle ich für dich nur trockenes Brot zum Essen.«
»So weit ich weiß, gehen deine Französischkenntnisse über ›Deux bières s’il vous plait‹ nicht hinaus. Ich halte mich da lieber an Zoe. Wofür hat die denn schon seit Jahren Französisch.« Sie legt ihre Hand auf Zoes Arm. »Könntest du vorher schon mal nachsehen, was Austern, Kaviar und Froschschenkel auf Französisch heißen?«
Zoe nickt lächelnd. »Und ich gucke, wie man den besten Tropfen des Weinkellers ordert. Ich denke, das interessiert dich auch.«
»Absolut«, lacht Zoes Mutter. »Ich sehe schon, wir verstehen uns.«
Als Zoe in der Nacht um kurz nach zwei in das Gartenhaus schleicht, kommt Johnny langsam aus einer Ecke auf sie zu. Als wüsste er, dass er sich keine Hoffnungen zu machen braucht. Er drückt seine Schnauze in Zoes Hand. Die bleibt wie versteinert stehen. Sie hält das Tier hier gefangen und er will Streicheleinheiten von ihr? Johnny reibt sich an ihrem nackten Bein, leckt kurz mit seiner Zunge an ihrem Fuß. Irgendetwas in Zoe zieht sich zusammen. Wenn er wütend bellen, wenn er sie anknurren oder verzweifelt an der Tür kratzen würde. Das wäre okay für sie. Doch dieses Vertrauen, diese Suche nach Nähe kann sie nur schwer ertragen. Es erinnert sie zu sehr an Franzi. An die glücklichen Augen der Schwester, wenn Zoe das Zimmer betritt. Das glucksende Lachen, wenn Zoe Quatsch für sie macht. Sie ist immer wieder erstaunt darüber, wie sehr die kleine Schwester Berührungen genießt. Trotz allem. Sich wohlig windet, wenn Zoe sie nach dem Bad eincremt. Erstaunt und beschämt. Aber Franzi weiß ja auch nichts von Zoes Schuld. Sie wird es nie wissen. Und Zoe wird ewig an dieser Schuld schleppen.
Um kurz vor vier hält Zoe es nicht mehr aus. Sie hat nicht mehr geschlafen, nachdem sie aus dem Gartenhaus zurückgekommen ist. Ein paarmal ist sie in einen Zustand zwischen Wachen und Schlafen gefallen. Gedanken aus ihrem Bewusstsein haben sich vermengt mit Erinnerungen und mit Bildern aus ihrem Unterbewusstsein. Immer wieder ist sie hochgeschreckt, hat sich auf die andere Seite gewälzt. Um kurz vor vier steht sie auf. Sie lauscht an Franziskas Tür und hört das gleichmäßige Atmen des Tiefschlafs. Trotzdem weiß sie, dass sie schnell sein muss. Leise schlüpft sie aus der Terrassentür, huscht über die Terrasse, öffnet rasch die Tür zum Gartenhaus und hastet wieder zurück ins Wohnzimmer. Leise schiebt sie die Terrassentür zu. Dann hält sie inne und beobachtet noch außer Atem, was draußen passiert.
Er kommt nicht. Sie hatte damit gerechnet, dass Johnny sofort rausläuft, Richtung Baum und dann Richtung Frauchen. Doch es dauert eine halbe Ewigkeit bis er vorsichtig in der Tür erscheint. Als hätte er Angst, dass diese ihm wieder vor der feuchten Nase zugeschlagen wird. Endlich setzt er sich in Bewegung. Den Schwanz zwischen den Hinterbeinen eingeklemmt rennt er los.
»Was machst du denn hier?«
Zoe schreckt herum.
Ihr Vater steht verschlafen und verknittert hinter ihr.
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Und du meinst, es hilft, hier am Fenster zu stehen und rauszustarren?«
»Nein. Ich wollte mir was zu trinken holen und dachte plötzlich, ich hätte was gehört.«
»Und? Hast du auch was gesehen?«
»Rien. Wenn du weißt, was das heißt«, lächelt Zoe und fügt an: »Ich leg mich noch mal hin.«
Sie hat das Gefühl, erst vor fünf Minuten eingeschlafen zu sein, als der Wecker um halb sieben geht. Es ist einer der wenigen Tage, an denen sie ein leichtes Make-up benutzt.
Abrudern
U nd was geht heute?«
Kim lehnt sich zurück und streckt die Beine aus. Die drei Freundinnen haben es sich in der großen Pause im Steingarten gemütlich gemacht. Da kann man gut abhängen und zumindest kurzfristig ignorieren, dass man auf einem Schulhof ist.
»Ich wollte heute Nachmittag zum Club. Mal wieder ein paar Meter rudern«, sagt Saskia mit geschlossenen Augen. Auch sie hält ihr Gesicht Richtung Frühlingssonne.
Kim und Zoe wechseln einen Blick. Kim zieht eine Augenbraue hoch.
»Lass mich mal überlegen. Wie oft hast du uns schon gesagt, dass Rudern das Allerletzte ist? Dass dir das zu wackelig und zu anstrengend und zu langweilig ist? Dass du deine Eltern zum Mond jagen könntest, weil sie dich da immer wieder mit hinschleppen? So fünfhundert Mal bestimmt, oder?«
»Wenn es so schön warm ist, finde ich das gar nicht so schlecht. Und ein bisschen
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