Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
vorbei. Von unten hört sie leise den Fernseher, bläuliches Licht scheint in den Flur. Zoe setzt sich an das Bett der schlafenden Schwester, streichelt durch die Gitterstäbe über ihre Hand. Im Schlaf sieht Franziska noch kleiner aus als sonst. Noch zerbrechlicher.
Die Lust an Rache
D ie zweite Schulstunde steht heute unter dem Motto »All you need is money«. Hintergrund ist das dicke Minus in der Kasse der Schule. Alle Klassen sollen sich eine Aktion überlegen, wie ein bisschen Geld eingenommen werden kann. Ansonsten würde das große Sommerfest ins Wasser fallen, was keiner will, denn das Schulfest ist immer die Party des Jahres.
»Ein paar Mädchen könnten sich kurze Jeans anziehen und Autowäschen anbieten«, schlägt Oliver vor.
»Vielleicht könntest du uns dann noch Wasser übers T-Shirt kippen«, keift Saskia ihn an. »Dann können wir gleich noch einen Miss-Wet-Shirt-Contest machen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass alle Mädchen mitmachen sollen«, schießt Oliver zurück.
Zoe springt ihrer Freundin zur Seite. »Auto waschen, das ist doch total langweilig. Das machen schon die Pfadfinder andauernd. Wir könnten doch Nacktputzer vermitteln«, schlägt sie vor. »Dafür müsstest du allerdings erstmal ein bisschen trainieren gehen, ehe du dich hüllenlos irgendjemandem präsentieren kannst …«
»Wie wäre es, wenn wir einen Escort-Service anbieten? Ich könnte mir vorstellen, dass einige Typen mal ganz gerne mit dir ausgehen würden«, lässt Oliver nicht locker.
»Ich bin ein unverkäufliches Muster«, beendet Zoe das Streitgespräch.
»Ich könnte ein paar Ponys aus dem Reitstall organisieren. Da könnten wir für ein paar Euros die Kids drauf reiten lassen«, schlägt Kim vor.
»Dann kann Oliver da den Hengst machen. Das ist doch bestimmt sein Traum«, rächt sich Saskia.
»Das sind wirklich sehr interessante Vorschläge«, mischt sich Herr Jürgens ein. »Aber vielleicht sollten wir noch weiter überlegen. Das mit den Ponys ist mir ehrlich gesagt zu riskant. Da muss nur ein Kind vom Pferd fallen und schon hat die Schule eine Klage am Bein. Dann können wir das ganze schöne Geld für einen Anwalt stiften«, gibt er zu bedenken.
»Wie wär’s, wenn wir einen Flohmarkt organisieren. Wir könnten alle mal zu Hause gucken, was nicht mehr gebraucht wird, und den Kram dann verticken«, schlägt Jenny vor.
»So wie die immer rumläuft, sollte die ihre gesamte Garderobe da verhökern«, raunt irgendjemand hinter Zoe.
Kim dreht sich halb um: »Meinst du, dass man da viel für bekommt?«
Zoe guckt sie streng an. Sie mag diese Lästereien nicht. Kann ja sein, dass Jenny Stammgast bei Kik ist, aber da muss man ja nicht auch noch dumme Sprüche drüber machen.
»Die Schule ist doch bekannt für die Kunst-AGs. Vielleicht könnten wir eine Vernissage machen, auf der die Leute Bilder kaufen können.«
»Das klingt gut«, lobt der Jürgens Zoes Vorschlag.
»Wieso selber machen? Ich habe mal von so einem Affen gelesen, der so ganz bunte Bilder kleckst, und die verkaufen sich wahnsinnig gut. Wir leihen uns einfach einen Affen im Zoo und lassen den für uns pinseln«, schlägt Oliver vor.
Nach weiteren zwanzig Minuten steht das Konzept. Die Klasse entscheidet sich für ein kombiniertes Tanz- und Kunst-Projekt. Während eines Songs werden sich sechs Mädchen und zwei Jungen in einer besonderen Choreographie mit Farbe bewerfen und sich anmalen. Zum Schluss werden sie sich über Leinwände wälzen und so Bilder schaffen. Die sollen dann verkauft werden. Ein paar Schüler werden ausgesucht, die einen Werbetext für die Aktion schreiben sollen.
Zoe freut sich schon darauf.
Der Deutschlehrer starrt Zoe an. Er erkennt sie nicht wieder. Sie gehört zu seinen besten Schülerinnen. Eigentlich. Ihre Argumentationen und Interpretationen treffen meist genau. Sie formuliert schlüssig und sprachlich rund. Aber was sie nun zu dem Besuch der alten Dame sagt, irritiert ihn. Zoe redet sich in Rage, ereifert sich. Sie könne die Frau absolut verstehen. Ihr Handeln auch gutheißen.
»Was ist denn daran verwerflich?«, fragt Zoe. »Dieser Mann hat Schuld. Er hat ihr Leben zerstört. Oder es zumindest riskiert. Dafür muss er jetzt büßen. Ich finde es eigentlich cool, was diese alte Dame macht. Das hat richtig Stil. Sie könnte ja auch einfach hingehen und ihn erschießen. Aber Geld auf seinen Kopf auszusetzen und somit den Bürgern des Dorfes, die ja damals Mitläufer waren, Gelegenheit zu geben, sich erneut
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