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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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von den Ureinwohnern sprach er wie von wilden Tieren, nannte sie nicht einmal bei ihrem Namen, schimpfte sie »Grasfresser«, riß blöde Witze, wir wissen wenig über sie, sagte er, sie waren so scheu, kaum erblickten sie einen Menschen, zogen sie den Schwanz ein, wollte man sich ihnen nähern, zischten sie ab, wie Stachelschweine, versteckten sich im tiefsten Busch oder vergruben sich in die Erde, wie Stinktiere. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn vor den Passagieren belehren, die Menschen, die einst in diesem Wald gelebt haben, sie hießen Yahgan . Yah-gan , er wiederholte das Wort, als müßte er es knacken, der Name paßt zu einem Naturvolk wie die Faust aufs Auge, klingt fremdländisch, wie eine seltene Spinnenart. Habe ich seine Stiefel erwähnt? Sie hinterließen tiefe Abdrücke, irgendein Name, der Name des Herstellers, vermute ich, wurde mit jedem Schritt in die feuchte Erde geprägt. Kann mir einer von euch erklären, wie es dazu gekommen ist, zu diesem merkwürdigen Wort: »Naturvolk«? Beate verstummt, und auf einmal schweigen alle in der Runde, wie auf ein geheimes Zeichen hin. Die Frage haben nicht alle gehört, die Antwortwird sich über den ganzen Tisch verbreiten. Weil wir sie exterminiert haben, sage ich mit lauter Stimme. Weil wir alles zerstören, was sich auf die Seite der Natur stellt. Wir ehren die Ausgestorbenen, wir stellen ihre Masken aus, und Porträts von ihnen in Sepia, hingebungsvoll kümmern wir uns um jene, die wir ausgerottet haben. Ein Stöhnen hebt an unter den Lektoren, here he goes again , sie erwarten einen meiner Ausfälle, sie haben meine Wutlawinen schon mehrmals ertragen müssen, sie wissen aus Erfahrung, wenn Mr. Iceberger apodiktisch loslegt, endet es apokalyptisch. Es ist unser erster gemeinsamer Abend, ich beiße mir auf die Zunge und verstumme, während um mich herum weitere Gespräche zu rascheln beginnen.
    Als einziger bleibe ich beim Alten zurück, der den ganzen Abend lang schweigend aufgetischt hat. Das ist uns zur Gewohnheit geworden, seit dem allerersten Mal, da ich ihn aufsuchte. Ich hatte in seiner Spelunke auf einer der Holzbänke meine Kamera liegengelassen und mußte durch die Kälte zurücklaufen, gegen den steifen Wind, verfroren trat ich ein, der Alte war allein und am Aufräumen, er mußte mir noch einen Warmmacher kredenzen, ein Gespräch zugestehen, wir wurden uns darüber noch fremder, zunächst, und legten dann, Satz um Satz, Stamperl um Stamperl, den Harnisch ab, bis unsere Verwundungen spürbar wurden. Wir ließen uns danach nicht mehr aus dem Sinn. Ruhig wischt er die Holztische ab, mit kreisenden Bewegungen, die Adern auf seinem Handrücken Eisrillen, die Haut an vielen Stellen leberbraun. Mit unversöhnlichem Zorn verflucht er sein Schicksal, in diesem Ushuaia, das seit jeher zu einem Provisorium zusammengezimmert wird, wo jeder Laden Finisterre heißt und Pinguine auf jederSchürze prangen, geboren aufgewachsen vergreist zu sein, an diesem Fleck, der sich keinem erbarmt, nicht den Umherstreifenden, die einst barfuß über Dornen liefen, bis sie von Glückssuchern und Zwangsversetzten erschlagen wurden, nicht den Verbannten in schweren Ketten, denen die Sehnsucht nach Ausbruch immer tiefer ins Fleisch schnitt, nicht deren Nachkommen, die vor den Touristen zu Kreuze kriechen, als wollten sie die getrockneten Schlammbrocken unter ihren Sohlen aufsammeln, als enthielte die Erde von Tierra del Fuego immer noch Goldstaub. Wandelt sich ein Ort zum Besseren, wenn Menschen freiwillig hinziehen? Wärmt blutgetränkter Torf, wenn er im heimischen Ofen verfeuert wird? Kurz verschwindet der Alte, kehrt zurück mit zwei kleinen bauchigen Gläsern. Der Inhalt riecht nach Vanille und brennt gut in der Kehle. Der Alte bewegt sich unentwegt, von der Theke zu den Tischen, von Tisch zu Tisch, als wäre an jeder Stelle noch etwas zu vertäuen. Ich folge ihm ans Fenster, die spärlichen Straßenlampen verwischen im Nieselregen zu mattleuchtenden Rinnen. Wir überlassen uns den fernen Geräuschen. Auf einmal spricht er wieder.
    – Als Kind, am Nachmittag, hockte ich vor unserem Haus, dieses Haus hier war damals unsere Baracke, ich starrte hinunter auf die Stadt. Wenn die Wolken tiefhingen, kam es mir vor, als würde sich die Straße mit dem Nebel davonstehlen. Ich rannte die Straße hinab, voller Erwartungen; jedesmal landete ich im Schmutz des Hafens.
    Wir setzen uns hin, zum ersten Mal, bislang erfolgten unsere Gespräche zwischen Tisch und Tür, jetzt

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