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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Abgasdämpfe.
     
    An diesem ersten Abend endet Paulinas Schicht vor Mitternacht. Die Gäste hatten noch keine Zeit, miteinander Bekanntschaft zu schließen, die Gewohnheitstrinker und Hockenbleiber verlassen früh Bistro und Bar, Paulina forciert die last orders , komplimentiert einen alten Amerikaner in sein Bett, sie freut sich auf unsere geräumigere Kabine (dem Posten des Expeditionsleiters angemessen), auf mich, wir haben bislang noch nicht Wiedersehen feiern können. Ich bin zu Deck 6 aufgestiegen, zur Befehlselite des Schiffes, Tür an Tür mit dem Ersten Offizier und dem Navigationsoffizier, unweit der Brücke, als ich vorhin in den Gang trat, prallte ich unerwartet auf den Kapitän, sein Büro und Refugium befindet sich einige Türen weiter schräg gegenüber. The captain is in striking distance, lasse ich Paulina wissen. Und sie lacht, don’t hurt him , wir bringen uns gegenseitig zum Lachen, immer wieder, es erstaunt mich jedesmal, früher galt ich als Spaßverderber, das hatte seinen guten Grund: ich fand die Schenkelklopfer der anderen verderblich, ich hörte sie kichern und gackern, aber niemals lachen, mein Gespons von einst kuderte sich durch manch einen Abend, laut und aufdringlich, es schmeckte nie nach Ausgelassenheit. Anders bei Paulina, ihr gelingt es, mich ins Lachen zu ziehen, mich auszuziehen, als grundierte Blöße gute Laune. Ihre Libido ist nahe am Lachen gebaut.
    Wenn man so lange nicht mehr vereint war, folgt Wiederentdeckung auf Eroberung, dazwischen liegt sie neben mir, die Füße über Kreuz, die Scham gewölbt, und plaudert vor sich hin, das beruhigendste Menschengeräusch, das ich kenne, ich lausche dem plätschernden Klang, es geschieht so viel während der Monate, in denen wir nicht beieinander sind, ein Wasserfall anEreignissen, die Folgen des Ausbruchs des Mayon, die operierte Hasenscharte eines Nachbarkindes, das Massaker an einigen Dutzend Journalisten auf der Nachbarinsel, der alte Fischer, der sich seine rechte Hand weggesprengt hat, die Erblindung der Mutter, die Verblödung des Bruders, die Unfruchtbarkeit der Schwester, die Geilheit des Priesters, der nach der Messe im Altarraum erwischt wurde, seinen Talar über den Rücken der empfänglichen Witwe geworfen, und der Rest der Erzählung wird in Lachen ertränkt. Wovon aber sollte ich ihr berichten? Von den wöchentlichen Besuchen bei meinem Vater, der jeden angeifert, der sich mit ihm abmüht, den Krankenpfleger, den Arzt, den Koch, jede seiner Heimbekanntschaften (Freunde hat er seit dem Ende des letzten Krieges keine mehr) und selbst den Taxifahrer, der ihn einmal die Woche zum Friedhof fährt, damit er sich seines Platzes neben meiner längst verstorbenen Mutter vergewissern kann, das Fleckerl Ead’ , auf das er sich vorgeblich freut. Als ich mich von meinem Institut und meine Frau sich von mir getrennt hatte, lud ich ihn ein, bei mir einzuziehen, in Helenes gähnend leeres Schlafzimmer; seine laute Stimme weckte mich manch eine Nacht um drei Uhr, mit einer Kerze in der Hand schlurfte er über den Gang und brüllte jeden Schatten an, den seine zitternde Hand warf: Auch ich bin ein Häretiker! Es dauerte, bis er sich beruhigt hatte, manchmal bis zum Morgengrauen, nie verriet er mir, gegen welchen Vorwurf er sich verteidigte. Vater galt ein Leben lang als Quadratschädel, als Querdenker, als Radaumacher. Das war ein kommodes Renommee. Er haute auf den Tisch, ohne diesen jemals zu verrücken. Er brüllte, ohne zu beißen. Nun, da seine Lebenskraft versickert, dörrt sein Stänkern zu einem Reizhusten aus. Soll ichPaulina damit belasten, daß mein Vater den rechten Zeitpunkt zum Sterben verpaßt hat? Lieber nehme ich Zuflucht bei ihren Geschichten, sie sind weniger armselig als meine.
    Paulina und ich teilen uns einige Monate im Jahr eine Kabine, bewohnen gemeinsam dieses Schiff, darauf folgt eine mehr als halbjährige Trennung, wir verlieren uns aus den Augen, es würde mich nicht einmal stören, wenn sie in dieser Zeit mit dem Coca-Cola-Händler aus Legazpi City verbandelt wäre (er scharwenzelt unverdrossen um sie herum, bietet ihr aber weiterhin nur den Status einer Geliebten an). Mir geht es mit ihr wie dem alten Amundsen mit der Sonne, ich freue mich darauf, sie wiederzusehen, ohne sie schmerzlich vermißt zu haben. Wir haben versucht, diesen Abstand zu verkürzen. Sie kam mich besuchen, nach der ersten Saison im Ewigen Eis, das ging nicht gut, ein Nachbar beglückwünschte mich zu meinem »Fang«, ein anderer

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