EisTau
für Traummaße, wir tun, was wir können, wir können was tun BREAKING NEWS ERNEUTE HAVARIE IN DER ANTARKTIS? BREAKING NEWS ERNEUTE HAVARIE IN DER ANTARKTIS? und trotzdem
II.
S 55°05´0´´W 66°39´5´´
Bevor wir ablegen, müssen alle Passagiere nachweisen, daß sie gesund sind (nicht kerngesund, gesund genug), sie steigen die Treppen hinauf oder hinab, die eingeschränkt Gesunden benutzen den Fahrstuhl, auf Deck 4 reihen sie sich auf vor dem Arzt aus Brasil, straff in Uniform, die Lockenpracht formvollendet, jede freie Minute verbringt er im sargengen Fitneßraum, Heavy Metal aus São Paulo im Ohr, den Blick starr auf den Notausgang gerichtet. Ich habe mich noch nie mit ihm unterhalten können. Die Eingesundeten halten die medizinische Exkulpation stolz in den Händen, wie eine Konzertkarte, die schwer zu ergattern war, sie lernen sich kennen, tauschen sich aus, da waren sie schon und dort auch, man sei ja für alles zu haben, aber die Hitze, aber die Rebellen, andererseits, es gebe so viele Ziele, man wisse gar nicht, wohin als nächstes, doch zuerst müsse man ja dieses Abenteuer überstehen. Aus aktuellem Anlaß sind sie alle gesund, und wären sie nur wenige Herzschläge vom Infarkt entfernt.
Beim letzten Tageslicht legen wir ab. Niemand winkt, weder vom Kai noch vom Deck aus. Es ist ein beiläufigerAbschied. In Ushuaia bleibt kaum jemand zurück, den wir vermissen werden. Ich genieße es, auf dem obersten Deck zu stehen, den Silhouetten nachzusinnen. Sonnenuntergänge sind mir ein Greuel, sie reduzieren das Mannigfaltige auf einen Effekt. Niemand spricht mich an, die Gäste kennen mich noch nicht, die Vorstellung der Lektoren samt Expeditionsleiter erfolgt erst morgen nach dem Frühstück. Wir haben ohne Fanfaren abgelegt, fahren östlich durch den Beagle-Kanal mit einer Geschwindigkeit von etwa sieben Knoten, so schätze ich, nach einigen Saisons an Bord schätze ich ziemlich exakt. Schaut mal rüber, ruft ein Passagier, der Felsen dort, wie wenn der Berg einen Sixpack hätte. Die Gruppe trommelt ihr Lachen in die Dämmerung. Es geht wieder los, die Verkleinerung der Natur vor laufenden Camcordern. Ich ziehe mich zurück, an die Backbordseite. Halt, nicht weglaufen! Der Pianist kommt schnurstracks auf mich zu, in seinem Schlepptau eine sich aus der Dunkelheit herausschälende Visage, ein leckgeschlagenes Gesicht unter bunten Lichterketten. Gestatten, darf ich vorstellen, Mrs. Morgenthau, dies ist unser neuer Expeditionsleiter, ein Kavalier, wie er im Buche steht (der Pianist ist Brite), er wird Ihnen Ihre Frage gewiß zufriedenstellend beantworten können, der Expeditionsleiter kann jede Frage zufriedenstellend beantworten (der Pianist gilt als great wit ).
– Das ist freundlich von Ihnen, sehr freundlich, ich habe mich nämlich gefragt, dieser Berg, der da so dramatisch aufsteigt, dieser Berg hat bestimmt einen Namen?
– Mount Misery, antworte ich ihr geographisch korrekt, und die Amerikanerin beäugt mich, als sei sie kurz davor, mich der Lüge zu überführen. Der Pianist grinst, sein Jokus ist aufgegangen.
– Scheuen Sie sich nicht, den Expeditionsleiter während der Reise zu fragen, was immer Sie wissen möchten, wann immer es Ihnen ein Bedürfnis sein sollte, ich bin für das abendliche Wunschkonzert zuständig, ansonsten klimpere ich vor mich hin, Sie werden es hören.
– Die Menschen, fahre ich fort, die früher in dieser Gegend gelebt haben, waren Wassernomaden, sie hatten viele Namen für die Berge, die Flüsse, die Wälder, sie verfügten über einen reichen Wortschatz zu benennen, was sie umgab, ohne es in Besitz nehmen zu wollen. Diese Meerenge etwa nannten sie »das Wasser, das durch die Dämmerung sticht«.
– Und die Insel, an der wir gleich vorbeifahren, du weißt schon, welche ich meine, die hat doch einen ganz exquisiten Namen?
Der Pianist fragt im Wissen um die Antwort, auch wenn er scheinbar verwirrt ist. Ich werde ihm den Gefallen tun.
– Sie heißt Fury Island.
Ein weiterer mißgläubiger Blick.
– Ja, genau, Fury Island, das hatte ich so schön verdrängt. Kommen Sie, gnädige Frau, stören wir unseren neuen Expeditionsleiter nicht länger, allerdings muß ich Ihnen mitteilen, nicht daß Sie es später aus unzuverlässiger Quelle erfahren, mitten in der Nacht, wenn wir alle schlafen werden, hoffentlich tief, wird unser Schiff an der Last Hope Bay vorbeigleiten.
Das Lachen des Pianisten steigt auf und davon wie
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