Eiswind - Gladow, S: Eiswind
Außerirdische bei einem Pfadfinderausflug aus. Aber bei dem andauernden Regen beneidete er sie um ihre grünen Gummistiefel und durchsichtigen Regenanzüge. Sein weißes Oberhemd und die dünne Lederjacke waren jetzt schon vollständig durchnässt.
Er hatte sich auf einen Samstag im Büro eingestellt, den er, verdammt noch mal, dringend brauchte. Auf seinem Schreibtisch türmten sich die Akten und warteten darauf, aufgearbeitet zu werden. Es war immer dasselbe: Wenn er in den Urlaub fahren wollte, krochen
die Täter plötzlich aus ihren Löchern, so als töteten sie nur, um ihn daran zu hindern, einmal im Leben mehr als eine Woche am Stück in seinem Häuschen an der Schlei zu verbringen. Für den Nachmittag hatte er seiner Frau einen Stadtbummel versprochen. Um diesen Teil des Tages, auf den er heute zweifelsohne ebenfalls würde verzichten müssen, war es allerdings nicht wirklich schade. Denn mit Sicherheit war ein Stadtbummel mit seiner Frau für ihn weit schlimmer als ein Mord.
»Guten Morgen, Teddy«, begrüßte ihn Karl Fischer von der Gerichtsmedizin, als er das Absperrband durchschritten und den Fundort erreicht hatte.
»Moin, Karl«, grüßte Braun zurück und blickte wie immer fasziniert in den mit Reagenzgläsern, OP-Besteck und geheimnisvollen Tiegeln überfüllten Spurensicherungskoffer, vor dem Fischer gerade kniete und herumkramte.
»Hast wohl deine Ballettschuhe angezogen?«, fragte Fischer scherzhaft, als sein Blick auf Brauns dunkelbraune Slipper fiel.
»Gisela wollte heute mit mir in die Stadt«, gab Braun mit einem gequälten Lächeln zurück, was für Karl Fischer als langjähriger Freund der Familie eine ausreichende Erklärung war. Ihm waren Gisela Brauns Leidenschaft für Mode und ihre verzweifelten Versuche, Teddy für etwas anderes als Jeans und Holzfällerhemden zu begeistern, ebenso vertraut wie dessen Abneigung gegen alles, was auch nur im Entferntesten gebügelt aussah.
Hauptkommissar Braun wurde nicht umsonst von seinen Freunden Teddy genannt. Er war gerade mal 1,75 Meter groß und dabei alles andere als schlank. Sein braunes, lockiges Haar wirkte nicht nur aufgrund des Regens derangiert, sondern die unzähligen kleinen Wirbel ließen ihn nahezu immer etwas zerzaust aussehen. Dennoch ergab er sich immer, wenn ein Stadtbummel mit seiner Frau oder eine Feierlichkeit anstand, treu ergeben seinem Schicksal und zog das an, was sie ihm ausgesucht hatte.
»Sie liegt dort drüben kurz vor dem Baum«, kam Fischer jetzt sachlich auf den Grund ihres Einsatzes zu sprechen.
»Kannst du schon was zu den Umständen sagen?«, fragte Braun, während sie gemeinsam zu der Leiche hinübergingen, die zum Schutz vor dem Regen mit einer dunkelgrünen Plane abgedeckt war.
»Nicht viel«, gab Fischer zurück und begann kurz zu referieren: »Ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, weiblich, Sportbekleidung, keine Papiere am Fundort, der«, er hielt einen Moment inne, »so viel kann ich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, auch Tatort sein dürfte.«
Fischer kniete vor der Leiche nieder und ergriff die Plane, um diese jeden Moment lüften zu können, bevor er wieder Hauptkommissar Braun anblickte und weitersprach. »Fünf Stichwunden, davon eine im Halsbereich mit Durchtrennung der Halsschlagader.«
Durch ein Nicken gab Braun zu verstehen, dass er die Leiche jetzt sehen wollte, und ging ebenfalls in die Knie.
Fischer hob die Plane so an, dass sein Freund genügend sehen konnte, ohne die Tote dem Regen preiszugeben. Er hielt einen Moment inne, um Braun Gelegenheit zu geben, das Spurenbild auf sich wirken zu lassen, bevor er weitersprach.
»Todesursache vermutlich Verblutung, Tatzeit liegt mindestens vierundzwanzig Stunden zurück, Verlässlicheres nach näherer Untersuchung.«
Er hielt erneut inne und beobachtete, wie sein Gegenüber die Leiche mit der Professionalität eines Beamten begutachtete, der schon dreißig Jahre im Polizeidienst stand und nahezu alles gesehen hatte.
Hauptkommissar Braun hatte gelernt, das, was er sah, zu versachlichen und seine Emotionen zurückzudrängen. Zumeist gelang es ihm, Tatort und Leiche nur als Polizist und nicht als Privatmann zu betrachten. Dennoch musste er beim Anblick der jungen Frau schlucken. Die starren, leblosen Augen, die halb geöffneten blutleeren Lippen und die Art und Weise, wie der Körper unnatürlich zur Seite gedreht auf dem Boden lag, vermochten ihn nicht zu schockieren. Dafür hatte er schon zu viele Leichen gesehen.
Nein, was er für einen
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