Eiswind - Gladow, S: Eiswind
trat.
»Hallo, Anna«, sagte er hölzern und hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er auch Georg und Sabine begrüßte. Sie ärgerte sich, dass sie ihn nicht früher hatte kommen sehen und ihre spürbar glühenden Wangen unverkennbar ihre Aufregung widerspiegelten.
»Das ist Maja«, sagte Tom, als eine Blondine, die aussah wie die Reinkarnation der echten Barbie, neben
ihn trat. Die Herzlichkeit und Vertrautheit, mit der diese Frau ihre Freunde zur Begrüßung umarmte, versetzte Anna einen Stich. Diese Maja war längst nicht mehr nur »Toms Biene«, über die Georg und Sabine ihr vor wenigen Monaten noch mit einer gewissen Abfälligkeit berichtet hatten.
Anna nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Champagnerglas. Ihre Kehle fühlte sich unsagbar trocken an.
»Wie geht es dir?«, fragte Tom, um die entstandene Gesprächspause zu überbrücken.
»Gut«, log Anna. »Viel zu tun, ich muss auch gleich noch mal ins Büro.«
Tom nickte nur. Anna verspürte den heftigen Drang davonzurennen. Noch vor wenigen Stunden war es ihr unsagbar wichtig gewesen, sich ein eigenes Bild von dieser Maja zu machen, sie kennenzulernen und zu erfahren, ob Tom wirklich glücklich war. Denn sie wünschte sich, dass wenigstens er wieder glücklich sein konnte. Und nun schnürte es ihr die Kehle zu, und ihr einziger und sehnlichster Wunsch war, von dieser Party zu flüchten und sich irgendwo verkriechen zu können. Auch in Toms Zügen, die sie so gut kannte, konnte sie Unbehagen lesen. Aber da war auch noch etwas anderes: der tiefe Schmerz über den Verlust, den sie erlitten hatten, die Tatsache, dass ihr Baby gestorben war, über die auch Anna nie würde hinwegkommen können. Irgendwann hatten sie die Trauer des anderen einfach nicht mehr ausgehalten.
Anna versuchte den stetig größer werdenden Kloß in ihrem Hals herunterzuwürgen.
»Scheint ja ein tolles Buffet zu sein!«, schwärmte Maja und reckte ihren schlanken Hals, um besser auf die von Köstlichkeiten überquellenden Teller blicken zu können, die ein attraktiver Mittvierziger gerade an ihrem Tisch vorbeitrug.
»Ich muss unbedingt etwas essen«, seufzte sie, woraufhin der Mann stehen blieb und Maja auffordernd einen der Teller entgegenstreckte.
»Ich überlasse Ihnen gern einen der Teller«, flirtete er und fügte schelmisch lächelnd hinzu: »Mein Tisch ist allerdings ganz weit da hinten.«
»Ein sehr verlockendes Angebot, das ich leider ablehnen muss«, entgegnete Maja lachend. Er zuckte bedauernd mit den Schultern, warf Tom einen anerkennenden Blick zu und zog von dannen.
Anna fragte sich, wie diese Frau es schaffte, so unbefangen und entspannt auszusehen, obwohl sie gerade der Noch-Ehefrau ihres Freundes gegenüberstand. Wahrscheinlich sah sie in ihr einfach keine Konkurrenz. Wie auch, dachte sie bitter.
Wenn Anna es auch ungern zugab, so war nicht zu leugnen, dass diese Maja umwerfend aussah. Vor allem aber strahlte sie im Gegensatz zu Anna vor Glück und Lebensfreude.
»Ihr kennt euch wahrscheinlich schon ewig, oder?«, fragte Maja, der nicht entging, wie Anna sie musterte.
Anna brauchte einen Moment, bevor sie begriff, dass diese Frage keineswegs sie und Tom betraf, sondern dass Maja auf ihre langjährige Freundschaft mit Georg anspielte.
»Ja«, antwortete Anna endlich. »Wir haben zusammen in Göttingen studiert.«
»Und vor allem unzählige Partys zusammen gefeiert«, unterbrach Georg sie lachend.
»Auch das«, bestätigte Anna.
»Habt ihr nicht sogar mal zusammen gearbeitet?«, fragte Maja.
»Ich hätte gern mit Anna zusammen gearbeitet«, antwortete Georg. »Aber sie hat es vorgezogen, sich der Justiz zu verschreiben und Straftäter zu verfolgen, anstatt gemeinsam mit mir eine anständige Firma aufzubauen.«
»Ist dir ja am Ende auch ohne Annas Hilfe ganz gut gelungen«, bemerkte Tom ironisch.
Tatsächlich hatte Georg einen beachtlichen beruflichen Werdegang hinter sich. Er beschäftigte in seiner Immobilienfirma inzwischen um die achtzig Mitarbeiter im In- und Ausland.
»Aber um ehrlich zu sein«, griff Georg Majas Frage wieder auf, »stimmt es schon, dass ich ohne Anna vielleicht nie auf die Idee gekommen wäre, ins Immobiliengeschäft einzusteigen.«
»Da siehst du mal, wie dankbar du mir sein kannst!«, sagte Anna selbstzufrieden. »Das erste Haus habe nämlich ich entdeckt. Wir waren damals mit ein paar Studienkollegen gemeinsam auf Mallorca«, erzählte sie. »In der Nähe unserer Finca stand ein ähnliches Objekt zum Verkauf,
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